Erster Tour-de-France-Sieger Maurice Garin (Mitte im weißen Trikot) mit Rivalen bei 1. Etappe

Stichtag

19. Juli 1903 - Erste Tour de France endet

Die Tour rollt und in Frankreich grassiert das Radrennfieber – gegenwärtig wie schon vor 120 Jahren. Ende des 19. Jahrhunderts strömen die Zuschauer massenhaft in große Radstadien, und bei Straßenrennen wie Paris-Roubaix, Paris-Brest oder Bordeaux-Paris jubeln Hunderttausende den an ihren Haustüren vorbei strampelnden Athleten zu. Veranstaltet werden diese Städtetouren von Sportzeitungen, die mit Exklusivberichten um Leser werben.

Eines der tonangebenden Blätter ist das auf grünem Papier erscheinende "Le Vélo". Im Oktober 1900 macht sich der wichtigste "Vélo"-Schreiber, Henri Desgrange, selbstständig und gründet die Zeitung "L’Auto-Vélo" – auf gelbem Papier. Das "Vélo" muss er nach einer Klage seines düpierten Ex-Arbeitgebers bald streichen. Als Retourkutsche kündigt Henri Desgrange im Januar 1903 auf dem "L’Auto"-Titel ein sensationelles Ereignis an: "Tour de France – das größte Radrennen der Welt!"

Höllenritt durch die Republik

Binnen 19 Tagen sollen die Teilnehmer fast 2.500 Kilometer bewältigen, von Paris nach Lyon bis Marseille, dann über Toulouse, Bordeaux und Nantes zurück in die Hauptstadt. Konditionell wie organisatorisch eine schier irrsinnige Herausforderung ohne Beispiel. Als erster Fahrer meldet sich Maurice Garin, ein Schornsteinfeger, der bereits einige großen Straßenrennen gewonnen hat. Die meisten seiner Rivalen aber schrecken vor dem Höllenritt durch die Republik zurück. Erst als "L'Auto" die Siegprämien drastisch auf 20.000 Francs anhebt, bekommt Henri Desgrange ein Teilnehmerfeld von 60 hartgesottenen Pedal-Abenteurern zusammen.

Am 1. Juli 1903, nachmittags um drei, fällt am Café "Reveil-Matin" im Pariser Vorort Montgeron die Startflagge zur ersten Tour de France. Mit Favorit Garin im weißen Pullover an der Spitze macht sich das Feld auf ins 467 Kilometer entfernte Lyon. Bereits nach wenigen Kilometern sorgt ein Massensturz für Dramatik – mit Extra-Ausgaben lässt "L’Auto" das ganze Land an den Strapazen der Felgen-Helden auf der "Tour der Leiden" teilhaben. Während sich die Pedaleure bei Tag und Nacht durch Frankreichs Provinz kämpfen, kann Henri Desgrange die Auflage um ein Vielfaches steigern.

Schon bei der Premiere eine "rollende Apotheke"

Die brennende Sonne, Pannen, Stürze und Orientierungsprobleme zwingen viele Fahrer zur Aufgabe. Andere holt die Rennleitung vom Sattel, weil sie sich von Autos haben ziehen lassen oder gleich ein Stück mit der Bahn gefahren sind. An leistungsfördernden Mitteln jeder Art dagegen stört sich niemand; die Tour ist bereits bei ihrer Premiere eine "rollende Apotheke". Als Sieger fährt am 19. Juli der kettenrauchende Rotweinliebhaber Maurice Garin ins Pariser Prinzenpark-Velodrom ein. Nach dem "kleinen Schornsteinfeger" erreichen nur noch 20 Fahrer das Ziel, darunter als 15. der Münchener Joseph Fischer.

Für den Herausgeber Desgrange wird die Frankreich-Rundfahrt zum erhofften bombastischen Erfolg. "L’Auto" etabliert sich als angesehenste Fachzeitung für Radsport-Fans. Die Erzrivalen von "Le Vélo" streichen die Segel und schreiben fortan, ihrem Zeitungstitel zum Trotz, nur noch über Automobile. Auch die zweite Tour de France gewinnt Maurice Garin. Von seinem Preisgeld legt er sich in seiner Heimatstadt Lens eine Tankstelle zu. Henri Desgrange lenkt noch bis 1939 als gestrenger Patron die Organisation des bedeutendsten Radrennens der Welt.

Stand: 19.07.2013

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