28. August 1966 - Rudi Altig wird Straßen-Weltmeister der Rad-Profis

Stand: 28.08.2016, 00:00 Uhr

Sich im Leben durchbeißen zu müssen, das lernt Rudi Altig von Kindes Beinen an. Mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Willi wächst der Mannheimer in einer in Krieg und Nachkriegszeit zerrütteten Familie auf. Vater Altig macht sich kurz nach Rudis Geburt im März 1937 aus dem Staub, die Mutter kommt früh bei einem Verkehrsunfall ums Leben.

Der Start im relativ kostspieligen Radsport fällt den Altig-Brüdern nicht leicht. Auf einem geliehenen Rad und im Fußball-Trikot von Phönix Ludwigshafen fährt Rudi mit 15 sein erstes Rennen. Eigentlich träumt er ja von einer Karriere als Fußballspieler. Doch Willi überzeugt ihn, sein Glück im Fahrradsattel zu versuchen. Gleich bei seinem Renndebüt 1952 kommt Rudi Altig als Erster ins Ziel. 14 Jahre später gewinnt er als zweiter und bis heute letzter Deutscher die Straßen-Weltmeisterschaft der Radprofis.

"Sacré Rudi" - Zu schwer für die Berge

Obwohl Rudi Altig 1953 deutscher Straßen-Meister der Junioren wird, machen die Altig-Brüder zunächst vor allem beim Bahnfahren das Tempo. Der WM-Titel in der Einzelverfolgung 1959 verschafft Rudi die Eintrittskarte ins Profi-Lager. 1962 nimmt ihn die französische Topmannschaft Saint-Raphaël unter Vertrag. Im Team des Superstars Jacques Anquetil fährt er seine erste Tour de France und macht sich auf Anhieb einen Namen. Anquetil, der "Monsieur Chrono", gewinnt die Tour, und Altig, der Newcomer, das Grüne Trikot des besten Sprinters. "Sacré Rudi", den "unglaublichen Rudi", taufen die Franzosen den jungen Deutschen mit dem draufgängerischen Antritt.

Vier Mal startet Altig bei der Tour, gewinnt dabei acht Etappen und fährt 19 Tage im Gelben Trikot. Die Dominanz der französischen Idole kann er aber nicht gefährden, denn Altig hat ein Handicap: Mit fast 80 Kilogramm ist er zu schwer für die Berge. Am gefürchteten Tourmalet in den Pyrenäen habe er sich gewünscht, "dass die Straße aufreißt und ich einfach reinfahr, damit mich keiner mehr sieht", gesteht Altig. "Rein ins Loch und Ende.“ Auch bei der Straßen-WM läuft es zunächst nicht gut. 1962 wird er disqualifiziert, im Jahr darauf scheidet er entkräftet aus, 1965 muss er sich Tom Simpson geschlagen geben. Der Brite wird zwei Jahre später bei der Tour in der Hitze am Mont Ventoux tot vom Rad fallen, vollgepumpt mit Amphetaminen und Alkohol. Der erste Doping-Tote des Radsports.

Sprint-Sieg auf dem Nürburgring

Auch Rudi Altig genießt unter Kollegen den Ruf einer "rollenden Apotheke", als er am 28. August 1966 zur Straßen-Weltmeisterschaft auf dem Nürburgring antritt. Sein schärfster Konkurrent ist wieder einmal Teamgefährte Jacques Anquetil, inzwischen fünffacher Gewinner der Tour de France. Es wird eng für Altig, das deutsche Kraftpaket: "Zwei Kilometer vor dem Ziel hab ich meine Beine angefasst und gedacht: Lasst mich jetzt bitte nicht im Stich.“ In einem lang gezogenen Endspurt setzt sich Altig gegen Anquetil durch und macht den größten Triumph seiner Karriere perfekt. In der Bundesrepublik wird "Sacré Rudi" dafür zum "Sportler des Jahres" gewählt und löst einen Boom des Radsports aus.

Auch positive Doping-Befunde wie bei der Tour 1969 schaden Altigs Beliebtheit nicht. "Ich hatte Mediziner, die mir Mittel gegeben haben", verteidigt er sich später, betont aber: "Ich wusste, was ich konnte, und habe schöne Rennen gewonnen ohne irgendetwas.“ Nach insgesamt vier WM-Titeln, Erfolgen bei großen Rundfahrten und Ein-Tages-Rennen sowie 23 gewonnenen Sechs-Tage-Rennen beendet Rudi Altig 1971 seine Karriere. Als Amateur-Bundestrainer und technischer Direktor eines Profiteams hat er nur mäßigen Erfolg; umso gefragter ist er als Veranstalter großer Rennen und Tour-Kommentator der ARD. 1994 erkrankt die Rad-Ikone an Magenkrebs. Altig besiegt den Tumor, doch es ist nur ein Etappenerfolg. Am 11. Juni 2016 stirbt er an einer erneuten Krebserkrankung.

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