Kaum ein Radrennfahrer hat so viel Siege, Ruhm und Geld erstrampelt wie Jacques Anquetil, der kühle Blonde aus der Normandie. Mehr als zehn Jahre lang beherrscht der Modellathlet die Radsportszene, gewinnt die Tour de France als Erster fünf Mal und kassiert dafür wie kein anderer Fahrer zuvor. "Maitre Jacques" wird der 1934 bei Rouen geborene Anquetil von seinen Landsleuten genannt - wegen seines scheinbar mühelosen Fahrstils, seiner taktischen Intelligenz und seines distanziert-elitären Charmes. "Wenn man Anquetil heißt, kommt man nicht, um die Tour kennen zu lernen, sondern um sie zu gewinnen", verkündet er schon 1957 als 23-jähriger Newcomer nach seinem ersten Sieg bei der Frankreich-Rundfahrt.
Der Maitre wird geachtet in Frankreich, geliebt aber wird sein großer Rivale Raymond Poulidor, der als ewiger Zweiter in die Sportgeschichte eingeht. Legendäre Duelle fechten die beiden aus, doch der Sieger heißt dank psychologischer Überlegenheit jedes Mal Jacques Anquetil. Besonders auf den von ihm mathematisch genau geplanten Rundfahrten und bei Rennen gegen die Uhr ist "Monsieur Chrono" nicht zu schlagen. "Er war der Größte", erkennt später auch Anquetils Freund und Teamgefährte an, die deutsche Radlegende Rudi Altig. Das Karriere-Ende für den Playboy im Rennsattel naht 1966, als Radsportler erstmals per Urinprobe auf Doping getestet werden. "Ich bin doch kein Hund, der öffentlich pinkelt", lässt Anquetil die Kontrolleure wissen, verweigert weitere Tests und rechtfertigt die Einnahme leistungsfördernder Mittel.
Als Anquetil 1967 einen neuen Stundenweltrekord aufstellt, wird dieser ebenso wenig anerkannt wie zuvor sein zweiter Platz hinter Rudi Altig bei der Weltmeisterschaft auf dem Nürburgring. 1969 stellt der Maitre das Rennrad endgültig weg, widmet sich seinem großen Gut in der Normandie und kommentiert alljährlich die Tour de France in Presse und Fernsehen. Im Alter von nur 53 Jahren erkrankt Anquetil an Magenkrebs, dem er nach kurzer schwerer Krankheit am 18. November 1987 in Rouen erliegt. Bis heute wird vermutet, dass der bedenkenlose Umgang mit Dopingmitteln wie Strychnin den Krebs hervorgerufen hat. 2004 wirft die Biografie der 32-jährigen Anquetil-Tochter Sophie ein letztes grelles Schlaglicht auf den eigenwilligen Lebensstil ihres Vaters. Sie enthüllt, dass das Radsport-Idol jahrelang in Bigamie mit Ehefrau Jeannie und Stieftochter Annie gelebt und sowohl mit Annie als auch einer Schwiegertochter Kinder gezeugt hat.
Stand: 18.11.07