26. September 1971 - Ausrufung der "Republik Christiania" in Kopenhagen

Stand: 26.09.2016, 00:00 Uhr

In der Pusher Street bieten mit Sturmhauben vermummte Verkäufer vor ehemaligen Kasernenhäusern Cannabisprodukte an. Doch schon 100 Meter weiter stehen entlang der idyllischen Wasserstraßen architektonische Freiräume aus buntem Holz, Glas und Phantasie: Im Freistaat Christiania im Herzen Kopenhagens geben sich Drogen, Kunst und Freiheit ein Stelldichein.

Die Geschichte für die Hippie-Hauptstadt beginnt mit einem kriminellen Akt der Anarchie. Im September 1971 schneiden Jugendliche ein Loch in den Zaun einer verlassenen Kaserne und nehmen das rund 34 Hektar große Areal in Besitz. Statt Panzer zu beherbergen, sollen hier fortan Blumen und Kreativität den Asphalt durchstoßen.

"Wandert aus mit dem Bus Nummer Acht

Der dänische Reporter Jacob Ludvigsen erklärt das Gelände am 26. September 1971 in einem Beitrag der alternativen Zeitung "Hovebladet" zum "Freistaat Christiania" für alle Hippies. Seine Überschrift "Wandert aus mit dem Bus Nummer Acht" verfehlt ihre Wirkung nicht: wohl auch, weil Wohnraum längst knapp geworden ist in der Stadt. Innerhalb einer Woche fahren rund 500 Menschen aus den verschiedensten Schichten der Gesellschaft mit der Buslinie zum Militärgelände, um dort ihren Traum von Freiheit auszuleben. Dabei kommt ihnen zugute, dass Dänemark nach Neuwahlen noch keine handlungsfähige Regierung besitzt.

Als der zuständige Verteidigungsminister Keld Oleson sein Amt antritt, ist es für eine möglichst gewaltfreie Lösung bereits zu spät. Oleson erkennt, dass ein riesiger Polizeiapparat vonnöten wäre, um das Gelände von Besetzern und Sympathisanten zu räumen. Schon ein halbes Jahr später wird eine halboffizielle Duldung öffentlich gemacht. Damit ist ein Staat im Staate quasi anerkannt; ein Staat der sich mit einem eigenen System, das auf Einstimmigkeit beruht, seine eigenen Gesetze schafft. Legaler Hasch-Verkauf inklusive.

Auch die Spießer überzeugen

Die Bewohner Christianias schaffen es bereits in den 70er Jahren, ihren Freistaat zum Markenzeichen des alternativen Lebens zu machen. Dabei schafft die äußerst heterogene Mischung aus Hippies, Künstlern, Linksalternativen, Esoterikern, Kriminellen und Handwerkern, die sich einfach ein schönes Haus bauen wollen, anfangs extreme Probleme. Nur mit Mühe gelingt es der Gemeinschaft, auch Obdachlose, Kranke und Süchtige zu integrieren. Vor allem das Problem mit harten Drogen bekommen die Bewohner erst in den Griff, als sie die Dealer verjagen – ganz ohne Hilfe der Polizei. Dennoch bleiben Drogen und kriminelle Verkaufsstrukturen bis heute ein Problem des Freistaates.

Auch in der dänischen Öffentlichkeit hat es der Freistaat Christiania zunächst schwer. Als Schandfleck wird das Areal angesehen, als rechtsfreier Raum erscheint es den Normalbürgern suspekt. Das ändert sich vor allem durch eine Fernsehsendung, in der die typische Mittelschichtsfamilie Hansen Mitte der 70er Jahre mit ihrem Mercedes und vielen Vorurteilen im Koffer eine Woche lang nach Christiania zieht. Danach sind die Hansens geläutert. "Diese Leute in Christiania haben eine zweite Chance verdient", sagt Herr Hansen vor laufender Kamera. "Sie wollen einfach zusammen leben und füreinander da sein."

2011 kauft die Wohngemeinschaft von Christiania das Gelände vom Staat, die Zeit der Unsicherheiten ist vorbei. Heute leben rund 1.000 Menschen in Christiania. Von der Müllentsorgung über die Baustoffverteilung bis hin zur Konzertverantsaltung haben sich die Bewohner inzwischen eine einträgliche Infrastruktur geschaffen. Das hier gebaute Lastendreirad "Christiania-Bike" ist weltweit ein Renner. Mit der "kleinen Meerjungfrau" und dem Vergnügungspark Tivoli ist der Freistaat längst zu Kopenhagens Haupttouristenattraktion geworden. Fast zwei Millionen Besucher kommen jährlich.

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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 26. September 2016 ebenfalls an die Gründung des Freistaats Christiania. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.

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