Der Regierungssitz der Sezessionisten ist ein gepflegtes weißes Holzhäuschen mitten in Key West, etwas größer als eine deutsche Gartenlaube. Im Schatten einer imposanten Baumkrone fällt es kaum auf. Wer genau hinsieht, entdeckt am kleinen, Art-déco-verzierten Treppenaufgang das Schild mit dem Muschel-Staatswappen: "The Conch Republic – Office of the Secretary General". Hier residiert The Honorable Sir Peter Anderson, Generalsekretär der skurrilen Mini-Nation mit dem stolzen Staatsmotto "We seceded where others failed" (Unsere Sezession hat geklappt, wo andere versagt haben).
Key West ist die letzte in einer Kette von rund 200 kleinen Inseln, die vom Südende Floridas in den Golf von Mexiko ragt. Verbunden sind sie nur durch den U.S. Highway 1, der über unzählige Brücken zum Festland führt. Dort, am Beginn des Highways in Key West, ereignet sich der "casus belli", der die Inselbewohner in die Rebellion gegen das ferne Washington treibt. Und zur erfolgreichen Sezession, auch wenn die - streng genommen - nur eine Sache von Minuten ist.
Kriegserklärung mit Weißbrot
Der Zorn der rund 22.000 Insulaner entzündet sich an einem Checkpoint, den die US-Grenzbehörden Anfang 1982 vor Key West errichten. Der soll illegale Einwanderer, vor allem aus dem nur 160 Kilometer entfernten Kuba stoppen. Er bremst aber auch den Touristenstrom zum südlichsten Punkt des US-Festlandes und behindert Key Wests Haupteinnahmequelle, den Fremdenverkehr. Bürgermeister Dennis Wardlow fordert die Regierung in Washington deshalb auf, "die Straßensperre zu entfernen oder sie zum Grenzposten für ein neues Nachbarland zu erklären". Die diplomatische Attacke scheitert allerdings ebenso wie eine Klage vor Gericht.
Am 23. April 1982 erreicht die Stimmung gegen die "Nordstaaten-Okkupation" ihren Siedepunkt. "Wenn Key West von Washington wie Ausland behandelt wird, ist Washington Ausland für uns", dekretiert Bürgermeister Wardlow. Unter dem Jubel der Insulaner ruft er die Abspaltung Key Wests von den USA zur unabhängigen Conch Republic aus und erklärt sich selbst zum Premierminister. Namen und Wappen verdankt die Republik der englischen Bezeichnung für die Tritonshornschnecke. Doch damit nicht genug: Die Rebellen brechen auch noch über einem Mann in symbolischer GI-Uniform ein Weißbrot und erklären den Vereinigten Staaten den Krieg.
Klopapier-Bomber gegen Invasoren
Allerdings folgt der schrägen Kriegserklärung sogleich die Kapitulation, verbunden mit der Aufforderung an Washington, eine Milliarde Dollar an Wiederaufbauhilfe zu leisten. Daraus wird zwar nichts, aber die als Schildbürgerstreich inszenierte Conch-Sezession erweist sich als genialer PR-Coup. Beeindruckt vom enormen Medienecho der Protestaktion kapituliert auch der vermeintliche Kriegsgewinner: Der Insel-Checkpoint wird geschlossen. Die triumphierende Conch Republic aber bleibt bestehen – samt Staatschef, Hymne, Nationalfeiertag und eigener Luftverteidigung. Rückt die US-Küstenwache den Insulanern zu nah auf die Pelle, schlagen fortan die Piloten der "Conch Special Forces" erbarmungslos zurück und bombardieren die Invasoren mit Hunderten Rollen Klopapier.
So bleibt Key West, was es schon war, als Ernest Hemingway noch dort lebte und im "Sloppy Joe's" seine Drinks kippte: ein verrücktes El Dorado für Aussteiger und Individualisten. "Es sind die Kreativen, die Anderen, die schwarzen Schafe und die Lustigen, die es in die Conch Republic zieht", beschreibt der amtierende Regierungschef Sir Peter Anderson das bunte, tolerante Inselvölkchen. "Initiative zur Rettung der Menschen mit unüblichem Verstand", lautet das aktuelle Conch-Regierungsprogramm. Wer sich dem anschließen und Bürger der Spaß-Republik werden möchte, muss gar nicht mal auf Key West heimisch sein. Pässe sind im Internet käuflich zu erwerben und neuerdings auch im Conch-Generalkonsulat in Bingen am Rhein.
Stand: 23.04.2012
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