Mit der Vereinsfahne des Hamburger Sportvereins bedeckt wird im März 1956 ein Sarg in die feuchtkalte Erde heruntergelassen. Jugend und Spieler des Vereins stehen im Klubdress Ehrengeleit, darunter auch der 19-jährige Uwe Seeler. Im Sarg liegt einer ihrer größten Sportler, der Fußballer und Star der 1920er Jahre, Otto Fritz Harder. "Unsere Gedanken werden noch oft bei ihm verweilen und den schönen Stunden gedenken, die er uns bereitet hat", schreiben die Vereinsnachrichten über den Toten.
Fast 400 Tore hat Harder für den HSV geschossen, ihn zu zwei Meisterschaften geführt. Eines aber klammern die Trauerredner aus: Als überzeugter Nationalsozialist war Harder auch Freiwilliger in der SS, Wachmann im KZ Neuengamme, ab 1944 Lagerkommandant im KZ Hannover-Ahlem. "Man hat ihn lediglich auf seine sportlichen Verdienste reduziert, ohne auch nur in einer Weise die Zeit von 1933 bis 1945 zu thematisieren", erklärt Niko Stövhase, Leiter des HSV-Museums die damalige Haltung.
Schneller Stürmer
Geboren wird Otto Fritz Harder am 25. November 1892 in Braunschweig. Als 15-Jähriger fällt der große Blonde auf dem Bolzplatz auf. Bald spielt er bei Eintracht Braunschweig. Hier bekommt er seinen Spitznamen "Tull“ - benannt nach einem dunkelhäutigen englischen Fußballer von den Tottenham Hotspurs. In seinem ersten Länderspiel im April 1914 schießt Harder gleich ein Tor. Da kickt der Stürmer schon für den Hamburger FC 88, aus dem später der HSV hervorgehen wird.
Wenige Monate später kämpfen die Nationen auf anderem Terrain, Harder meldet sich freiwillig zum Militärdienst. Er wird dreimal an der Westfront verwundet, die Kameraden schildern ihn als Draufgänger. Nach dem Ersten Weltkrieg beginnt seine erfolgreichste Zeit als Fußballer. Schnell, geradlinig und mit vielen Toren wird er zum von Gegnern gefürchteten Stürmer. "Tull Harder entwickelt sich zu dem ersten wirklichen nationalen Fußballstar, weit über Hamburg hinaus", sagt Stövhase. In seinen letzten fünf Länderspielen ist der Stürmer auch Kapitän der Nationalmannschaft.
Vom Fußballplatz in die SS
Doch Anfang der 1930er Jahre kann Harder mit bald 40 Jahren nicht mehr an die alten sportlichen Erfolge anknüpfen. Der Fußballer stellt seine deutschnationale Gesinnung nach vorn. "Er ist überzeugt von dem, was Hitler sagt", sagt Harder-Biograf Roger Repplinger. Harder tritt 1932 in die NSDAP ein, ein Jahr später in den SS. "Dort findet er auch quasi einen Ersatz für die Kabine, für die Mannschaft", erklärt Repplinger. Bei Kriegsausbruch wird Harder zur Waffen-SS eingezogen, arbeitet in verschiedenen Lagern und wird sogar Lagerführer.
Beweise für exzessive Gewalt von seiner Seite gibt es nicht. Aber er trägt das System, hält es am Laufen. Nach Kriegsende muss sich Harder für seine Taten gerichtlich verantworten. "Er entwickelt im Prozess, zumindest nach den Gerichtsakten und Protokollen, kein irgendwie geartetes Unrechtsbewusstsein oder ein Schuldeingeständnis", sagt Stövhase. Harder wird zu einer Haftstrafe verurteilt und kommt 1951 wieder frei. Schon bald geht der frühere Stürmer-Star wieder im Vereinsheim des HSV ein und aus.
Auch nach seinem Tod am 4. März 1956 klammert man seine Nazi-Vergangenheit zunächst aus. Das ändert sich, nachdem seine Biografie aufgearbeitet wird. "Heute wird von Tull Harder in erster Linie seine Beteiligung an den Verbrechen thematisiert, von seinen sportlichen Erfolgen wird kaum gesprochen", sagt Stövhase. Im HSV-Museum hat Harder seinen Platz inzwischen gefunden: In einer Vitrine wird seine Biografie der des Mannschaftskameraden und Widerstandskämpfers Asbjørn Halvorsen, der an den Folgen seiner KZ-Haft verstorben ist, gegenübergestellt.
Stand: 04.03.2016
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