Keine Balkanregion hat für serbische Nationalisten eine solch mythisch aufgeladene Bedeutung wie der Kosovo. 1389 fand dort die Schlacht auf dem Amselfeld statt, in der sich die Serben des osmanischen Heeres erwehrten. Durch die historisch umstrittene Metzelei nahe der Hauptstadt Pristina wird der Kosovo zum Schicksalsort serbischer Identität und zur Keimzelle großserbischer Hegemonieansprüche – auch noch 600 Jahre später.
"Kosovo ist der Äquator des serbischen Planeten (…). Hier wurde das Gedächtnis des serbischen Volkes auf die Zeit vor und nach dem Kosovo gestellt", schreibt der serbische Dichter Matija Bećković. Von Medien in Belgrad propagiert, wird der Amselfeld-Mythos mitverantwortlich für nationalistische Exzesse in dem zu fast 90 Prozent von Albanern bevölkerten Kosovo.
Gewaltfreier Widerstand im Untergrundstaat
Bećković schreibt seine Worte, als Serbiens Präsident Slobodan Milošević 1989 dem Kosovo den Status einer autonomen Provinz gewaltsam aberkennt und den Ausnahmezustand ausruft. Während der zerfallende Vielvölkerstaat Jugoslawien in Bürgerkriegen versinkt, werden im Kosovo politische Institutionen sowie öffentliche und zivile Einrichtungen von albanischen Amtsträgern "gesäubert". Belagert von serbischen Truppen und trotz scharfer Warnungen aus Belgrad organisieren die Kosovo-Albaner einen Parallel-Staat im Untergrund.
Dass der aktive Widerstand gegen die Besatzer weitestgehend gewaltfrei verläuft, ist vor allem dem Schriftsteller und Menschenrechtler Ibrahim Rugova zu verdanken. Unter seinem Vorsitz führt die "Demokratische Liga des Kosovo" (LDK) am 24. Mai 1992 Parlamentswahlen der unabhängigen "Republik Kosovo" durch. Mit überwältigender Mehrheit wird der schmächtige und gänzlich uncharismatische Rugova zum Präsidenten aller Kosovaren gewählt.
Terrorakte - Pogrome - Bürgerkrieg
Rugova will den Kosovo in naher Zukunft mit dem nun demokratisch geführten "Mutterland" Albanien zusammenführen. Als einziger Staat erkennt der Nachbar die neue Republik an. Doch obwohl der Präsident seinen strikt gewaltlosen Kurs beibehält, macht er sich wenig Illusionen über eine Erhaltung des Friedens: "Wenn bei uns Schüsse fallen, dann dient das als Rechtfertigung dafür, die Repression zu verschärfen." Vom Westen erhält Rugova keine Unterstützung.
Im Abkommen von Dayton, das 1995 den Krieg in Bosnien beendet, bleibt das Los des Kosovo unerwähnt: Ein Zugeständnis an den Serben Milošević, der die Provinz um keinen Preis aufgeben will. Präsident Rugova, der "Gandhi vom Balkan", ist damit gescheitert. Rebellen der albanischen Befreiungsarmee UCK starten nun Terroraktionen gegen die serbische Minderheit im Kosovo. Rugova wird 1998 zwar als Präsident bestätigt, die Ausweitung von hasserfüllten Gräueltaten zum gnadenlosen Krieg der Ethnien kann er aber nicht verhindern.
Tod des Hoffnungsträgers Rugova
Lange sieht der Westen der Eskalation der Gewalt zu. Erst im März 1999 greift die NATO ein, und die gerade gewählte rot-grüne Bundesregierung in Berlin zieht mit in den Krieg: "Es wäre zynisch und verantwortungslos, dieser humanitären Katastrophe weiter tatenlos zuzusehen", verteidigt Kanzler Gerhard Schröder die alliierten Luftangriffe zur Zerstörung der serbischen Militärstrukturen im Kosovo. In den Kämpfen sterben Tausende Menschen; Hunderttausende müssen aus ihrer Heimat fliehen. Seit Kriegsende Mitte 1999 überwachen internationale Einheiten den fragilen Frieden im weiter formal zu Serbien gehörenden Kosovo.
Bei den 2001 von den UN durchgeführten Wahlen gewinnt die demokratische LDK wieder die Mehrheit; Ibrahim Rugova wird als provisorischer Präsident des Kosovo bestätigt. Sein inzwischen durch einen Volksaufstand gestürzter Widersacher Milošević sitzt zu diesem Zeitpunkt bereits im Gefängnis des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. Die Proklamation der unabhängigen Republik Kosovo 2008 erleben beide nicht mehr. Rugova, der Hoffnungsträger für den Friedenprozess auf dem Balkan, stirbt im Januar 2006 an Lungenkrebs. Sieben Wochen später erliegt Milošević einem Herzinfarkt, noch vor Abschluss des Kriegsverbrecher-Verfahrens gegen ihn.
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