Anfang der 1990er Jahre soll erstmals ein Afrikaner Generalsekretär der Vereinten Nationen werden. Es gibt zwar keine Regel dafür, wie das Amt zwischen den Kontinenten zu rotieren hat, aber es scheint klar, dass der Kontinent nun einmal an der Reihe ist.
Arabischer Christ mit jüdischer Frau
Im November 1991 beschließt der UN-Sicherheitsrat, Boutros-Ghali als Generalsekretär vorzuschlagen. Der Jurist und Diplomat ist einer der Architekten des Camp-David-Abkommens 1978 zwischen Israel und Ägypten. 1990 hat er an der Freilassung Nelson Mandelas in Südafrika mitgewirkt. Der koptische Christ, der mit einer Jüdin verheiratet ist, spricht neben Arabisch auch fließend Englisch und Französisch.
Die Berufung erfolgt einstimmig. So steht es zumindest - formal korrekt - in den offiziellen Dokumenten. Tatsächlich aber haben sich die USA der Stimme enthalten, sagt Professor Klaus Hüfner von der Freien Universität Berlin, Experte für die Geschichte der UNO: "Sie haben ihn toleriert, aber sie haben ihn nicht mitgetragen." US-Präsident George Bush hatte andere Kandidaten für den Posten favorisiert, die den Amerikanern gewogener gewesen wären. Doch unter diesen war kein Afrikaner.
"Agenda für den Frieden"
Am 3. Dezember 1991 bestätigt die UN-Vollversammlung per Akklamation die Ernennung Boutros-Ghalis zum Generalsekretär. Sein Amt tritt er am 1. Januar 1992 an. Im selben Monat beauftragt ihn der UN-Sicherheitsrat, Empfehlungen zu erarbeiten, wie die Vereinten Nationen weltweit den Frieden fördern können. Nach wenigen Monaten legt er die "Agenda für den Frieden" vor und betont darin den Wert der "Vorbeugenden Diplomatie". Eine Möglichkeit, den Leitfaden unmittelbar zu erproben, bietet der Zerfall Jugoslawiens.
Während in Bosnien bereits Krieg herrscht, kommt es im Herbst 1992 auch in Mazedonien zu Spannungen. Um eine Ausweitung des Balkankonflikts im Süden zu verhindern, wird an der Grenze zwischen Mazedonien und Rest-Jugoslawien ein Infanteriebataillon mit 35 UN-Beobachtern stationiert. Das Ergebnis: Der Konflikt weitet sich nicht nach Mazedonien aus. "Die Operation war das erste Beispiel in der Geschichte der UNO für einen erfolgreichen 'Präventiveinsatz'", schreibt Boutros-Ghali später. "Es erfüllte mich mit Befriedigung, dass ein Konzept aus der 'Agenda für den Frieden' realisiert wurde."
Somalia, Ruanda, Bosnien
In die Amtszeit Boutros-Ghalis fallen allerdings mehrere große Krisen, in denen den Vereinten Nationen Versagen vorgeworfen wird. Für die unrühmliche Rolle der UNO machen viele den Generalsekretär verantwortlich, obwohl er kein politisches Amt hat, sondern lediglich als Verwaltungschef die Beschlüsse des Sicherheitsrates umsetzen muss. Für das Scheitern der UN-Mission in Somalia, bei der im Oktober 1993 amerikanische Soldaten sterben, ist aus Sicht von US-Präsident Bill Clinton das Verhalten der UNO die Ursache. Er unterzeichnet eine Direktive, die aus Sicht von Boutros-Ghali die Handlungsfähigkeit der UNO einschränkt: "Diese Direktive bedeutete den Todesstoß für jede gemeinsame Aktion zur Wahrung von Frieden und Sicherheit." Nur noch die kostengünstigsten Friedensmissionen könnten gebilligt werden.
Damals ist der Völkermord in Ruanda bereits in vollem Gang. Doch für die USA kommt ein Engagement dort nicht infrage. Der Sicherheitsrat ist über Monate unfähig, in Sachen Ruanda eine Entscheidung zu fällen. Für den UN-Experten Hüfner ist klar, "dass es durch die Verzögerungstaktik der USA zu diesem Völkermord gekommen ist". Auch auf dem Balkan können sich NATO, UN-Sicherheitsrat und USA nicht auf ein abgestimmtes Vorgehen einigen. Der Krieg in Bosnien gipfelt 1995 im Massaker von Srebrenica. Serben ermorden 8.000 muslimische Männer - unter den Augen der niederländischen Blauhelmsoldaten.
US-Veto verhindert Wiederwahl
Üblicherweise wird der UN-Generalsekretär nach seiner ersten Amtszeit für weitere fünf Jahre bestätigt. Doch das Verhältnis zwischen den USA und Boutros-Ghali ist derart zerrüttet, dass die Amerikaner seine Wiederwahl mit einem Veto verhindern. Kurz darauf einigt sich der Sicherheitsrat auf Kofi Annan als Nachfolger. Boutros Boutros-Ghalis Amtszeit endet 1996. Im Februar 2016 stirbt er im Alter von 93 Jahren in Kairo.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 3. Dezember 2016 ebenfalls an Boutros Boutros-Ghalis Wahl zum UN-Generalsekretär. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
Stichtag am 04.12.2016: Vor 20 Jahren: Start des "Mars Pathfinder"