"Das Harmonische, Ausgleichende, Konziliante ist mir auch nicht ganz fremd, aber erst nach den bestandenen Kämpfen", sagt der streitbare Spötter Eckhard Henscheid. Er weiß um seine Außenwirkung, bleibt aber gelassen: "Es bildet sich im schlimmsten Fall so ein Bild: Raufbold, Klamaukschriftsteller, Krawallschriftsteller - damit kann man schon leben!" Er schreibt unter anderem Romane, Erzählungen, Satiren, Glossen, Lyrik und Kritiken. Seine Bücher erreichen allein bis 1998 eine Gesamtauflage von rund 800.000 Exemplaren. Neben vielen Verehrern hat er aber auch eine Menge Gegner. Schon mehrfach musste er vor Gericht.
Dabei fängt alles ganz beschaulich an. Geboren wird Hans-Eckhard Henscheid am 14. September 1941 in Amberg in der Oberpfalz als Sohn eines Eisenbahnbeamten. Im Elternhaus erfährt er "lauter freundlich heimatliche, katholisch idyllische Prägungen", sagt er rückblickend. "Von der Großmutter her stammt wohl auch so ein Talent zum Erzählerischen, zur artistischen Plauderei." Der Vater ist Rheinländer, Sohn Eckhard liebt Fußball. Vor allem aber wird in der Familie musiziert: "Unsere Combo: Geige - meine Schwester, Akkordeon - ich, und Posaune - mein Vater, muss bayernweit ziemlich einzigartig gewesen sein."
"Trilogie des laufenden Schwachsinns"
Als Schüler lernt Eckhard Klavier spielen, entdeckt die klassische Musik. Er will Pianist oder Musiklehrer werden. Als er sich aber im Turnunterricht einen Finger bricht und dieser nicht richtig zusammenwächst, verlegt er sich aufs Schreiben. Für die Lokalzeitung verfasst er Musikartikel und Rezensionen. Nach dem Abitur 1960 studiert Henscheid Literaturwissenschaft und Publizistik in München. Mit 28 Jahren bewirbt er sich als Redakteur bei der Satire-Zeitschrift "Pardon" und zieht 1969 nach Frankfurt am Main. Nach einem Jahr bei "Pardon" arbeitet er als freier Autor für die "Frankfurter Rundschau", die "Frankfurter Allgemeine", die "Welt", die "Zeit", den "Playboy" und für "Konkret".
1970 kündigt Henscheid seinen Lesern den Roman "Die Vollidioten" an - mit der Bitte, den Druck vorzufinanzieren. Manche befürchten, sie seien selbst mit dem Titel gemeint. Doch 1973 erscheint tatsächlich das autobiografisch gefärbte Werk im Selbstverlag. Der Erzähler heißt Eckhard Henscheid, in anderen Romanfiguren sind Autoren und Künstler aus dem "Pardon"-Umfeld erkennbar. Eine Handlung gibt es kaum, dafür wird geredet, getrunken und geraucht.
Henscheid etabliert einen neuen Plauderton zwischen Realsatire und Kunstprosa. Er orientiert sich dabei an Joseph von Eichendorff, Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Franz Kafka, Samuel Beckett und Karl Valentin. Das Buch "Die Vollidioten" wird bis 1978 mit den beiden Romanen "Geht in Ordnung - sowieso - genau" und "Die Mätresse des Bischofs" zur "Trilogie des laufenden Schwachsinns" erweitert. Diese ist bis heute ein Bestseller.
"Neue Frankfurter Schule"
1979 gehört Henscheid zu den Gründern der satirischen Zeitschrift "Titanic", in deren Umfeld die "Neue Frankfurter Schule" entsteht. Neben Henscheid gehören zu diesem Kreis auch die Autoren und Zeichner Friedrich Karl Waechter, F. W. Bernstein, Robert Gernhardt, Chlodwig Poth und Hans Traxler. Sie setzen sich satirisch mit der sozialphilosophischen "Frankfurter Schule" rund um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno auseinander.
Henscheid ist einer der Hauptautoren von "Titanic". Daneben baut er sein Werk mit vielen Erzählformen und Gattungen aus. Im Frankfurter Waldstadion kennt er sich ebenso aus wie in Opernhäusern oder Kneipen. Henscheid kann sowohl italienische Opernlibretti zitieren, wie auch Aufstellungen von Fußballmannschaften aufsagen.
1979 erscheint der Opernführer "Verdi ist der Mozart Wagners". In den 1980er Jahren veröffentlicht Henscheid den Roman "Dolce Madonna Bionda", ein Goethe-Lesebuch und eine fiktive Biografie von Helmut Kohl (CDU). Henscheid denkt sich auch Fortsetzungen für Kafka-Werke aus. Dazu kommen hunderte Glossen, Polemiken und Aphorismen sowie "Sudelblätter", die im "Zeitmagazin" erscheinen.
Polemik gegen Autoritäten
In den 1990er Jahren wendet sich Henscheid verstärkt der Sprach- und Kulturkritik zu, veröffentlicht seine Fundstücke im Wörterbuch "Dummdeutsch". Mit seinen Polemiken sammelt er über die Jahre eine lange Reihe Lieblingsfeinde wie Joachim Kaiser und Marcel Reich-Ranicki. Diesen nennt Henscheid "Gaudibursch, Kegelbruder". Ranicki antwortet im Fernsehen mit "Idiot", Henscheid droht ihm Prügel an und verewigt den Literaturkritiker in einem Theaterstück. Er geht auch Politiker wie Björn Engholm (SPD), Hildegard Hamm-Brücher (FDP) oder Joschka Fischer (Grüne) an. Günter Grass ist für Henscheid ein "Wichtigkeitskasper", über den Tod der Autorin Luise Rinser, die er "Ruine Linser" nennt, bemerkt er: "Das wurde aber auch Zeit."
Anfang der 1990er Jahre streitet der Satiriker mit René Böll vor Gericht. Er hatte dessen Vater Heinrich Böll als "steindumm, kenntnislos und talentfrei" bezeichnet. Am Ende muss Henscheid viele Zeilen schwärzen lassen. Der Rechtsstreit mit der Unternehmensberaterin Gertrud Höhler kostet ihn 20.000 Schmerzensgeld, weil er sich über Abbildungen von ihr lustig macht. Dass er auch für die rechtsnationale "Junge Freiheit" Artikel geschrieben hat, nehmen ihm auch Zugewandte übel. Inzwischen wirkt der "Krawallschriftsteller" fast milde. Er war Poetik-Dozent in Heidelberg, Klagenfurt und Göttingen, nahm sogar Literatur-Auszeichnungen an: den Italo-Svevo-Preis und 2007 den Jean-Paul-Preis.
Programmtipps:
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 14. September 2016 ebenfalls an Eckard Henscheid. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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