Am Morgen des 23. September 1912 meldet sich Franz Kafka in der "Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen" in Prag bei seinem Vorgesetzten ab. Grund sei ein vorangegangener leichter Ohnmachtsanfall, schreibt er als Entschuldigung auf seine Visitenkarte. In Wirklichkeit hat er in der Nacht zuvor seine Erzählung "Das Urteil" ohne Absetzen der Feder zu Ende geschrieben. Der korrekte Angestellte schlägt sich die Nächte um die Ohren, um sich beim Schein künstlicher Beleuchtung das Grauen und das Furchtbare der menschlichen Existenz von der ohnmächtigen Seele zu schreiben.
Kafka wird am 3. Juli 1883 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Prag geboren. Bis zu seinem Tod wird er die meiste Zeit in seiner Heimatstadt verbringen. "Prag lässt mich nicht los", erklärt er sich in einem Brief an einen Freund: "Dieses Mütterchen hat Krallen". Krallen hat auch der Vater, der den Lebensweg des Sohns bestimmt, Verlobungen auflöst und auch sonst allmächtig in die Biografie Kafkas eingreift. In der Erzählung "Das Urteil" beschreibt Kafka 1912 auch dieses schwierige Verhältnis: Hier verurteilt ein Vater seinen Sohn, dessen Hochzeit er durch allerlei Intrigen zu verhindern trachtet, zum "Tode durch Ertrinken". "Das Urteil" gilt als jener Text, durch den der Autor zu seinem unverwechselbaren, düster-klaren Stil gefunden hat. Danach entstehen Meisterwerke wie die Erzählungen "Die Verwandlung" (1915) und "In der Strafkolonie" (1919) oder die Romanfragmente "Der Process" (so die urspüngliche Schreibweise, 1914/15), "Das Schloss" (1926) und "Der Verschollene" (1912), die alle posthum erscheinen.
Zeit seines Lebens behält Kafka ein schwieriges Verhältnis zu den Frauen. Mehrmals ist er verlobt, aber immer hat er Angst, sich endgültig zu binden. Schließlich findet er in Dora Diamant doch noch die Liebe seines Lebens. Da ist Kafka schon schwer an Tuberkulose erkrankt, auch Aufenthalte in Sanatorien können ihm nicht mehr helfen. Er stirbt 1924 im österreichischen Kierling. Testamentarisch verfügt er, dass sein Freund Max Brod alle hinterlassenen Schriften vernichten möge. Zum Glück ignoriert Brod den Wunsch - und rettet der Weltliteratur so eines ihrer bedeutendsten Werke.
Stand: 03.07.08