Mit sechs Jahren ist Buster Keaton der Star in der derben Bühnenshow seiner Eltern. Als Höhepunkt packt ihn sein Vater an einem auf dem Rücken montierten Koffergriff und schleudert ihn unter dem Gejohle der Menge ins Publikum – wobei er sich in alkoholisiertem Zustand einmal verschätzt und dafür sorgt, dass Keaton 18 Stunden lang bewusstlos ist. Um Kritiker von Gewalt gegen Kinder zu beschwichtigen, behaupten die Eltern kurzerhand, bei ihrem Sohn handle es sich um einen erwachsenen Zwerg.
Durch seine eigenen Blessuren lernt Keaton, dass Präzision und Körperbeherrschung bei Stunts überlebenswichtig sind. Später wird er vor der Kamera die verrücktesten Stürze vollführen, durch reißende Stromschnellen schwimmen und tosende Wasserfälle hinabfallen, ohne Schaden zu nehmen, und dabei mit unerschütterlichem Gesichtsausdruck selbst in Situationen stehen bleiben, in denen der Kameramann sich wegdreht, etwa als eine mehrstöckige Häuserfront auf Keaton hinabstürzt – dabei steht der Komiker mit seinem "Stone Face" ausgerechnet da, wo die Aussparung für das Fenster ist. Keaton hat sich offenbar angewöhnt, alles Unheil mit stoischer Miene zu ertragen.
Der neunfache Keaton
Geboren wird Joseph Frank Keaton 1895 in einem Kaff in Kansas, wo seine Eltern gerade mit einer Show gastieren. Seinen Spitznamen erhält er angeblich vom Entfesselungskünstler Houdini, der nach einem Treppensturz des Säuglings "That's sure some buster your baby took!" ("Das war ein ganz schöner Sturz, den euer Baby da gemacht hat") ausgerufen haben soll. 1917 schmeißt Keaton bei seinen Eltern hin und geht nach New York an den Broadway. Auf der Straße wird er zufällig vom Filmkomiker Fatty Arbuckle entdeckt, für den er sich im Kurzfilm "The Butcher Boy" (1917) spontan mit einem Eimer Zuckersirup übergießen lässt - schon damals, ohne eine Miene zu verziehen. Nur wenige Jahre später gehört er neben Charlie Chaplin und Harald Lloyd zu den ganz großen Stummfilmstars. Die Kinobesucher finden ihn komisch.
Nach drei Lehrjahren bei Arbuckle darf Keaton eigene Filme drehen: Der Hollywood-Produzent Joseph Schenck kauft für ihn das ehemalige Studio Chaplins, engagiert einen Kameramann und ein paar Gagschreiber und lässt ihm freie Hand. In der Folge entstehen 19 Kurzfilme, die filmgeschichtlich revolutionär sind. In "The Playhouse" (1921) ist Keaton in einigen Sequenzen gleich neun Mal im Bild, in "The Frozen North" (1922) spielt er mit surrealistischen Effekten. Kameraleute versuchen, hinter seine Tricks zu kommen – oft vergeblich.
"Der General" als Wendepunkt
Ab 1923 dreht Keaton abendfüllende Kinofilme. In "Drei Zeitalter" (1923) muss er in Steinzeit, Antike und Gegenwart das Herz eines Mädchens erringen, in "Sherlock Jr." Steigt er als Filmvorführer auf die Leinwand und erlebt dort verrückte Abenteuer. Seine Produktionen "Der Navigator" (1924), "Sieben Chancen" (1925) und "Go West" (1925) werden Kassenschlager. Keaton wird reich und lebt in einer pompösen Villa, die er auf Wunsch seiner ehrgeizigen Frau bauen lässt. Aber bald beginnt es in der Ehe zu kriseln. Alkoholprobleme, der Tonfilm und seine Präzisionsliebe geben dem Mann, der niemals lachte, den Rest.
Für sein ambitioniertestes Filmprojekt "Der General" (1926) über einen Lokomotivführer im Wilden Westen will sich Keaton nicht mit Kulissen zufrieden geben. Er dreht an Originalschauplätzen und macht sich dadurch vom Wetter abhängig. Die Szene, wo eine Lokomotive eine berstende Brücke hinab in den Abgrund stürzt, ist die teuerste der Stummfilmzeit. Der Film floppt und wird erst 36 Jahre später wieder entdeckt. 1928 lässt Schenck die Keaton-Studios schließen. Die Zeit beim Filmstudio Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) ist fremdbestimmt; die ihm aufgezwängte Rolle des traurigen Clowns liegt ihm nicht. Mit 38 Jahren steht Keaton vor dem Nichts. Mit seiner dritten Frau zieht er sich ins kalifornische Woodland Hills zurück, heute ein Stadtteil von Los Angeles. Dort stirbt er am 1. Februar 1966.
Stand: 01.02.2016
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