Als "Sinnbild aller menschlichen Mühen" hat Franz Kafka die chinesische Mauer beschrieben. Lange hieß es, das größte von Menschenhand errichtete Bauwerk sei sogar vom All aus mit bloßem Auge zu sehen.
Doch wie alle Astronauten vor ihm muss Chinas erster Weltraumfahrer Yang Liwei 2008 eingestehen: "Die Aussicht war wunderbar, aber die Große Mauer ist nicht zu erkennen." Das riesige Monument wäre wohl bald selbst von der Erde aus kaum noch zu sehen, hätten Chinas Politiker nicht Anfang der 1980er-Jahre begonnen, sich für den Erhalt des zerbröckelnden "achten Weltwunders" einzusetzen.
Ursprung im 1. Kaiserreich
Die rund 8.000 Kilometer der Großen Mauer sind nur der besterhaltene Teil mehrerer Grenzbefestigungen, die Chinas Herrscher in verschiedenen Epochen und Gebieten errichteten. Zusammengerechnet zogen sie sich einst mehr als 20.000 Kilometer durch das Riesenreich. Fast überall stehen davon - wenn überhaupt - nur noch wenige Reste. Den ersten Schutzwall gegen Eindringlinge, so glaubt der US-Historiker und Asien-Experte Arthur Waldron, lässt wohl der Begründer des Kaiserreichs China vor rund 2.300 Jahren aufschichten.
Kaiser Qin Shihuangdi, dessen Mausoleum noch heute durch die einzigartige Terrakotta-Armee beschützt wird, muss sein Reich gegen die Bedrohung durch Nomadenstämme aus dem Norden verteidigen. Antiken Quellen zufolge "schickte Qin einen General, der 300.000 Soldaten befehligte, in den Norden, um eine große Mauer zu bauen", schreibt Waldron in seinem Buch "The Great Wall of China". Unter mörderischen Bedingungen errichtet das Heer zusammen mit Gefangenen und Zwangsarbeitern einen knapp zehn Meter hohen Wall aus gestampfter Erde durch die wilden Grenzregionen.
Verhasst als feudales Relikt
Die antike Mauer soll rund 5.000 Kilometer lang gewesen sein, exakte Daten sind nicht bekannt. Sicher ist, dass sie später ihre strategische Bedeutung verliert und verfällt. Erst die Kaiser der Ming-Dynastie (1368-1644) errichten gegen Angriffe der Mongolen wieder eine massive, rund acht Meter hohe Grenzbefestigung, mit ihren Zinnen und Wehrtürmen heute als die Große Mauer weltbekannt. Doch auch diese Verteidigungsanlage kann Chinas Feinde auf Dauer nicht abhalten, wird überflüssig und dient in folgenden Jahrhunderten als Steinbruch. Die ideologische Kraft des Mythos "Große Mauer" als nationales Symbol erkennt erst Kommunisten-Führer Mao Zedong.
"Baut aus eurem Fleisch und Blut eine neue Mauer", dichtet Mao in seinem "Marsch der Freiwilligen", der späteren Nationalhymne. Die historische Steinmauer dagegen gilt den Rotchinesen als verhasstes Relikt des alten Kaiserreichs. Obwohl seit 1961 denkmalgeschützt, werden in der Kulturrevolution hunderte Kilometer gesprengt oder für Großbauten abgetragen. Zu Beginn der 1980er-Jahre, nach der Öffnung des Landes, erlässt Deng Xiaoping als erster Staatschef Maßnahmen zum Erhalt der größten Touristenattraktion Chinas. "Liebt euer Land und renoviert die Große Mauer", lautet seine Devise. 1987 wird die monumentale Mongolen-Abwehr in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen.
Stand: 21.01.2015
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