Lutz Beisel will nicht länger untätig zuschauen. Immer häufiger berichten die Medien 1966 über den ausufernden Krieg in Vietnam. Beinahe jeden Tag sieht er in der Tagesschau schockierende Bilder von den grausamen Kämpfen in Fernost. Vor allem das Leid der Zivilbevölkerung und der Kinder, sagt Beisel, "hat mich so beschäftigt, dass es mir nachts den Schlaf geraubt hat."
Der damals 29-jährige Schriftsetzer aus Tuttlingen will handeln, etwas unternehmen, um den jungen Opfern des Krieges zu helfen – aber wie? Zufällig liest Beisel in einer Zeitung einen Artikel über das Kinderhilfswerk "Terre des Hommes". Sofort setzt er sich mit dessen Gründer Edmond Kaiser in Verbindung und besucht ihn im schweizerischen Lausanne.
"Kaiser", erinnert sich Beisel, "hat dann eine Schublade aufgezogen und da waren etwa hundert Briefe von Leuten drin, die auch diesen Zeitungsartikel gelesen hatten."
Gründung nach Schweizer Vorbild
Lutz Beisel nimmt Kontakt mit den Briefschreibern auf und findet 40 engagierte Mitstreiter für seinen Plan. Am 8. Januar 1967 gründen sie nach dem Schweizer Vorbild in Stuttgart das Hilfswerk "Terre des Hommes – Hilfe für Kinder in Not".
Den Namen Terre des Hommes (Erde der Menschen) übernimmt Beisel von Kaisers Organisation, die dieser sieben Jahre zuvor unter dem Eindruck der Gräuel des Algerienkrieges aufgebaut hat. Terre des Hommes – so lautet der Titel eines Buches von Antoine de Saint- Exupéry. Es ist ein Appell an die Geduld und Ausdauer all jener, die das Leben auf der Erde menschlicher machen wollen.
Kinderrechte im Fokus der Hilfe
Im Frühjahr 1967 kann Terre des Hommes Deutschland die ersten teils schwerstverletzten Kinder aus Vietnam in die Bundesrepublik bringen. Arbeitsgruppen suchen überall in Deutschland nach Betten in Spezialkliniken und betreuen die kleinen, heimatlos gewordenen Patienten.
Nach zwei Jahren haben Beisel und seine Helfer bereits 300 Kinder aus Vietnam herausgeholt und in ihre Obhut genommen. Seither haben sich die Aufgaben und Hilfsangebote von Terre des Hommes Deutschland entscheidend weiterentwickelt.
Leitlinie sei die 1989 verabschiedete Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, erklärt TDH-Sprecher Wolf-Christian Ramm: "Da gibt es wichtige Prinzipien drin, etwa dass Kinder partizipieren sollen. Deshalb beziehen wir die Kinder mit in die Planung unserer Projekte ein. Wir möchten ihnen und ihren Eltern eine Stimme geben."
Groß denken – lokal handeln
Etwa 160 Millionen Mädchen und Jungen weltweit müssen mit oft schwerer körperlicher Arbeit zum Familienunterhalt beitragen. Viele werden zur Prostitution gezwungen oder als Kindersoldaten missbraucht. Die Rechte der Kinder auf Kindsein und Bildung stehen deshalb im Vordergrund der Arbeit von Terre des Hommes Deutschland.
Groß denken – lokal handeln lautet das Motto von Terre des Hommes. Wo immer möglich, unterstützt die Organisation örtliche Projekte, um neben der Hilfe von Mensch zu Mensch ganz konkret die Lebenssituation von Kindern zu verbessern.
Aktuell unterstützt Terre des Hommes in 39 Projektländern fast 400 lokale Nichtregierungsorganisationen (NGO) finanziell und beratend. Spenden sind noch immer das Rückgrat der Hilfe. 2020 konnte Terre des Hommes Deutschland mit knapp 41 Millionen Euro ein Rekordergebnis verbuchen.
Autorinnen des Hörfunkbeitrags: Anja und Doris Arp
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 8. Januar 2022 an die Gründung von terre des hommes Deutschland. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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