15. April 1951 - Hermann Gmeiner eröffnet erstes SOS-Kinderdorf

Stand: 15.04.2016, 00:00 Uhr

Julieta ist 13 Jahre alt und froh, dass ihre Mitschüler sie nicht mit Fragen nach ihrem Elternhaus löchern. Denn Julieta lebt gemeinsam mit ihren beiden jüngeren Brüdern im SOS-Kinderdorf Lippe in Schieder-Schwalenberg bei Detmold. Wie die meisten Kinder dort sind die drei sogenannte Sozialwaisen, also Kinder, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen können und deshalb im Kinderdorf ein neues Zuhause gefunden haben.

Mit vier weiteren "Geschwistern" bilden Julieta und ihre Brüder eine der Kinderdorf-Familien. Jede wird von einer Kinderdorf-Mutter betreut, die ihren Schützlingen die emotionale und soziale Stabilität bietet, die sie von den eigenen Eltern nicht bekommen. Insgesamt 50 Kinder und Jugendliche leben im Kinderdorf Lippe, einem von derzeit 16 deutschen SOS-Kinderdörfern. Der Bedarf ist enorm. "Gemessen an den Nachfragen der Jugendämter könnten wir fast quartalsweise eine neue Familie gründen", sagt Dorf-Leiter Antonius Grothe.

Als Sozialspinner belächelt

Begründet hat das größte private Sozialwerk der Kinderhilfe der Österreicher Hermann Gmeiner. Der 1919 geborene Sohn armer Bergbauern wird mit fünf Jahren beim Tod seiner Mutter Halbwaise. Aufopferungsvoll kümmert sich die älteste Schwester Elsa um ihre sechs Geschwister. Dank eines Stipendiums kann Hermann aufs Gymnasium gehen, muss aber 1940 kurz vor dem Abitur als Soldat an die Front. Mehrfach verwundet kehrt er 1945 nach Innsbruck zurück und holt das Abitur nach. Schockiert vom Elend vaterloser und verwahrloster Kriegskinder engagiert er sich in der kirchlichen Jugendarbeit. "Doch eines Tages konnte ich es nicht mehr ertragen und habe mir gesagt: Jemand muss was tun."

Geprägt durch das Vorbild seine Schwester Elsa entwickelt Gmeiner eine Idee: Man muss den Kindern eine Mutter, Geschwister, ein Haus und ein Dorf geben. Das begonnene Medizinstudium gibt er auf und gründet 1949 mit 600 Schilling in der Tasche den Kinderdorf-Verein "Societas Socialis". Von Politikern und Behörden wird er als Sozialspinner belächelt. Doch Gmeiner lässt sich nicht beirren und überzeugt die Gemeinde Imst in Tirol, dem Verein ein Grundstück zu schenken. Mit mühevoll erbettelten Spenden beginnt er sofort, ein Haus zu bauen, das am Weihnachtsabend 1950 von fünf Waisenkindern bezogen wird. Im April 1951 kann Hermann Gmeiner sein auf fünf Häuser gewachsenes SOS-Kinderdorf Imst eröffnen und 45 Kindern ein neues Zuhause schenken.

Brutal selbstloser Einsatz

Das Kinderdorf in Imst ist für Hermann Gmeiner nur der Anfang. Kompromisslos stellt er sein Leben in den Dienst des Vereins und sorgt mit einer Kinderdorf-Zeitung, Kalendern und einer Lotterie für stetig steigende Spendenaufkommen. Pausenlos entstehen zunächst in Österreich, dann in Deutschland, Frankreich und Italien neue SOS-Kinderdörfer. "Das war eigentlich meine einzige gute Tat in meinem ganzen Leben, dass ich damals so brutal selbstlos war", bekennt Gmeiner später. Für die Gründung einer eigenen Familie bleibt ihm keine Zeit. "Ich habe mich aufgegeben und mein Leben mit diesen Kindern geteilt. Und nur durch diese absolute Konsequenz ist es dann gelungen."

1964 eröffnet er in Südkorea das erste SOS-Kinderdorf außerhalb Europas. Auch der Vietnamkrieg kann ihn nicht bremsen, in Ho-Chi-Minh-Stadt ein Dorf zu gründen. Einrichtungen in Indien, Lateinamerika und Afrika folgen. Als Hermann Gmeiner nach 37 Jahren im rastlosen Einsatz für sein Sozialwerk am 26. April 1986 in Innsbruck stirbt, gibt es 233 SOS-Kinderdörfer in 85 Ländern. Noch kurz vor seinem Tod nach einer Tumoroperation werden die ersten beiden Dörfer in China bezogen. Gmeiners Konzept bleibt der Verein treu: Rund um den Globus werden alle Dorfkinder in Kleinfamilien von je einer Ersatzmutter betreut. Mittlerweile sind aus der einst als spinnert belächelten Initiative des Österreichers weit über 500 SOS-Kinderdörfer in 133 Ländern entstanden.

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