Kofi Annan redet nicht lange um den heißen Brei herum: "Wir Erwachsene haben kläglich versagt", erklärt der UN-Generalsekretär zur Eröffnung des Weltkindergipfels der Vereinten Nationen. "Allen Erwachsenen in diesem Saal möchte ich sagen: Kinder sollen nicht länger unsere Fehler ausbaden müssen!"
Vor Annan im Plenum der New Yorker UN-Zentrale sitzen an jenem 8. Mai 2002 Staats- und Regierungschefs sowie 300 Mädchen und Jungen aus 180 Ländern. Zusammen wollen sie einen Aktionsplan erarbeiten, um die Lebensbedingungen von Kindern auf der ganzen Welt zu verbessern. Marian Brehmer ist einer von vier jungen Delegierten aus Deutschland. "Ich hoffe, dass die uns zuhören und unsere Meinung anhören wollen", beschreibt der damals Zehnjährige seine Erwartungen. "Schließlich geht es ja um unsere Rechte."
Marschroute zum Aktionsplan abgesteckt
Skepsis ist angebracht, das weiß auch Marian schon, denn viele Ziele des ersten Weltkindergipfels von 1990 wurden nicht erreicht. Zwar konnte die Kindersterblichkeit reduziert werden, doch mindestens 150 Millionen Kinder haben noch immer nicht genug zu essen. In Afrika, südlich der Sahara, ist die Zahl unterernährter Kinder sogar gestiegen. Millionen leiden unter den Folgen von Kriegen und Naturkatastrophen. Um den jungen Teilnehmern des zweiten Kindergipfels mehr Mitsprache als vor zwölf Jahren einzuräumen, genießen sie nun denselben Delegierten-Status wie die Politprofis.
Unterhändler der Regierungen haben allerdings die Marschroute zum angepeilten Aktionsplan abgesteckt. Um peinliche Konfrontationen und Gesichtsverluste zu vermeiden, teilen sie den Gipfel in zwei Veranstaltungen: das "World Children's Forum", bei dem die jungen Delegierten unter sich sind, und die UN-Vollversammlung, zu der Kinder nur begrenzt Zugang haben. Der zehnjährige Marian findet das zunächst ganz okay. In seinen Arbeitsgruppen trifft er Kinder aus Kenia und den Philippinen, die über Lebensumstände erzählen, von denen er bislang keine Ahnung hatte.
Kinderdelegierte erheben konkrete Forderungen
"Einer unserer Slogans war: Sagt, was ihr denkt", berichtet Marian Brehmer 15 Jahre später. "Das ist ja die Stärke von Kindern: Intuitiv zu handeln und den Mund aufzumachen - anders, als das Politiker tun würden. Wir haben uns sofort super verstanden." Damals beschäftigt den Jungen aus Deutschland vor allem, dass etwa Jay und Eric auf den Philippinen nicht zur Schule gehen können. Denn wie rund jedes zehnte Kind weltweit müssen die beiden Brüder in ihrem Land arbeiten, statt lernen zu dürfen. Mädchen werden noch massiver benachteiligt und müssen sich oft prostituieren, um überleben zu können.
Die Gemeinschaft der jungen UN-Delegierten wird sich schnell einig. Nach drei Tagen liegt ihre Erklärung "We, the children" mit konkreten Forderungen für den Aktionsplan vor. Die Hauptpunkte: mehr Bildung, weniger Kinderarbeit, bessere Gesundheitsversorgung. "Was danach kam, war ein abgekartetes Spiel", erinnert sich Mariam Brehmer, der heute als Journalist im Nahen und Mittleren Osten arbeitet. Sein nüchternes Fazit des Weltkindergipfels: "Das Ganze war vor allem symbolisch."
Politroutine überrollt Engagement der Kinder
Verbissen feilschen die Politiker um jede Formulierung. Streitpunkte gibt es genug. Themen wie Familienplanung und Verhütung etwa sind ganz heiße Eisen. Vor allem die USA, islamische Länder und der Vatikan blockieren zukunftsweisende Beschlüsse. Die Vereinigten Staaten, die als einziger Staat der Erde noch nicht die Kinderrechtskonvention von 1989 unterschrieben haben, weigern sich zudem, endlich auf die Todesstrafe für Minderjährige zu verzichten.
"Eigentlich reden alle gern und viel über Kinder", sagt Rudi Tarneden vom Kinderhilfswerk Unicef, "aber konkret ihre Lebenssituation zu verbessern, insbesondere die der ärmsten Kinder, da wird es oft sehr eng." So überrollt die Politroutine der UN-Maschinerie schließlich auch das Engagement der Kinderdelegierten. Um sich überhaupt einigen zu können, werden deren konkrete Forderungen im abschließenden Aktionsplan "A World fit for Children" zu Kompromissformeln und Absichtserklärungen verwässert. "Die Textpassagen wählte man so, dass sie jedem Land Raum für Interpretationen lassen", meldet die Tagesschau.
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