Die Weimarer Republik ächzt noch unter den Folgen des Weltkriegs, als Heinrich Mohn 1921 in vierter Generation den Verlag C. Bertelsmann übernimmt. Im selben Jahr, am 29. Juni, wird Sohn Reinhard in Gütersloh als fünftes Kind der pietistisch-protestantischen Familie geboren. "Religiosität und Sittenstrenge, Ordnung, Sauberkeit und Pflichtgefühl", so charakterisiert er später die Werte seines Elternhauses.
Diese hindern Heinrich Mohn aber nicht daran, sich den Nationalsozialisten anzudienen. Er wird 1933 "Förderndes Mitglied" der SS, Großlieferant der Wehrmacht und erzielt mit Titel wie "Mit Bomben und MGs über Polen" Millionenauflagen. Reinhard macht derweil bei der Luftwaffe Karriere, gerät 1943 in amerikanische Gefangenschaft und erlebt das Kriegsende in einem Lager in Kansas.
Neustart dank Widerstandslegende
Während der Gefangenschaft liest Mohn Bücher über modernes Management und erwirbt Kenntnisse, die er später im eigenen Unternehmen umsetzt. Als er 1946 heimkehrt, ist der elterliche Betrieb ausgebombt. Mit der Legende, Bertelsmann sei ein zutiefst christlicher Verlag und habe zum Widerstand gegen die Nazis gehört, gelingt es Reinhard Mohn, von den Besatzungsbehörden eine neue Verlagslizenz zu bekommen.
In kürzester Zeit baut Mohn den Verlag wieder auf und entwickelt ein völlig neues Geschäftsmodell: den Bertelsmann-Lesering. Kunden erwerben ein Abonnement und können dafür regelmäßig Bücher aus dem Verlagskatalog aussuchen, die per Post zugesendet werden. Verlegerische Ambitionen hat Mohn dabei nach eigenem Bekunden nicht, er will Umsatz machen. Den Abonnenten bietet er deshalb vor allem Unterhaltungsliteratur für die ganze Familie.
Unternehmensführung nach US-Vorbild
Das Buchclub-Konzept ist ein Volltreffer. Ein Jahr nach dem Start 1950 hat der Lesering 100.000 Mitglieder, 1954 sind es bereits eine Million. Dank voller Kassen kann Reinhard Mohn die Expansion vorantreiben; 1958 gründet er mit Ariola seine eigene Schallplattenfirma. Rüde Kundenwerbung durch Drückerkolonnen, die vor falschen Versprechen an der Haustür und gefälschten Unterschriften nicht zurückschrecken, werfen allerdings Schatten auf den Ruf des Hauses.
Von Beginn an führt Mohn sein Unternehmen nach dem Vorbild von US-Konzernen. Er delegiert Aufgaben an Manager, denen er weitgehend freie Hand lässt und motiviert seine Mitarbeiter durch Gewinnbeteiligungen. Die werden dafür aufgefordert, das zusätzliche Geld der Firma zu leihen. So spart Bertelsmann Steuern und kann weiter auf Expansionskurs gehen.
Medienimperium bleibt in Familienhand
Noch in den 60er Jahren übernimmt Mohn den Filmverleih und die Kinos der Ufa und steigt beim Hamburger Branchenriesen Gruner + Jahr ein. Mit Mehrheitsbeteiligungen an mehreren US-Großverlagen rollt Bertelsmann den internationalen Markt auf. Der Wandel vom Buchverlag zum Medienkonzern ist perfekt, als die Gütersloher 1984 beim neuen Privatsender RTL einsteigen.
Der Konzern-Patriarch selbst zieht sich in den 80er Jahren Zug um Zug aus dem operativen Geschäft zurück. Über die Kontrollgremien, die Stimmrechte sowie die Gesellschafterstruktur bleibt Bertelsmann aber fest in Familienhand. Das Unternehmenskapital liegt in der 1977 gegründeten Bertelsmann-Stiftung, die sich zu einer der mächtigsten Denkfabriken der Bundesrepubliken entwickelt.
Als Reinhard Mohn am 3. Oktober 2009 stirbt, hat seine 20 Jahre jüngere Ehefrau Liz die Zügel der Stiftung und damit des Konzerns bereits fest in der Hand. Im Juni 2021 übergibt sie das Amt der Familiensprecherin in der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft an ihren Sohn Christoph Mohn.
Autor des Hörfunkbeitrags: Marko Rösseler
Redaktion: Hildegard Schulte
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 29. Juni 2021 an Reinhard Mohn. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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