Nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg legen die Siegermächte Sowjetunion, USA und Großbritannien im Potsdamer Abkommen die Oder-Neiße-Linie als neue Westgrenze Polens fest. Nach zwölf Jahren Nazi-Herrschaft verliert Deutschland damit einen Teil seines bisherigen Hoheitsgebiets im Osten.
Die DDR erkennt die Grenze 1950 an. In der Bundesrepublik indes kämpfen vor allem Vertriebenenverbände und CDU/CSU jahrzehntelang erbittert gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.
Bis in die 1960er-Jahre fordert auch die SPD die Ostgebiete zurück. Das ändert sich mit der Ost- und Friedenspolitik von Willy Brandt (SPD). "Der Warschauer Vertrag soll einen Schlussstrich setzen unter Leiden und Opfer einer bösen Vergangenheit", sagt Bundeskanzler Brandt 1970, als er in seinem Bemühen um eine Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen im Kalten Krieg die Oder-Neiße-Grenze akzeptiert.
Regierung Kohl erkennt Realitäten an
Es gibt Proteste. Das CSU-regierte Bayern ruft das Bundesverfassungsgericht an. Die Richter bekräftigen - mit Blick auf einen Passus im Potsdamer Abkommen von 1945 -, dass die Oder-Neiße-Grenze erst mit einer friedensvertraglichen Regelung aller Siegermächte abschließend festgelegt werden könne.
Mit der deutschen Vereinigung 1990 erkennt auch die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) die Realitäten an. "Wir Deutschen sind uns bewusst, dass der heute unterzeichnete Vertrag nichts aufgibt, was nicht längst vorher verloren war: als Folge eines verbrecherischen Krieges und eines verbrecherischen Systems", sagt Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) im November 1990, als er in Warschau den deutsch-polnischen Vertrag unterzeichnet. Er bestätigt damit, dass die im Krieg verlorenen Gebiete östlich der Flüsse Oder und Neiße endgültig zu Polen gehören.
Doch dann klagen elf Heimatvertriebene, die den Vertrag für verfassungswidrig halten. Denn die Enteignungen in Schlesien, Pommern und Ostpreußen nach 1945 würden so für rechtens erklärt. Die Kläger ziehen vor das Bundesverfassungsgericht.
Keine juristische Hintertür mehr
Karlsruhe entscheidet, dass der Vertrag mit Polen verfassungskonform ist. Im Wortlaut des Bundesverfassungsgerichts heißt es: "Die Verfassungsbeschwerden sind […] deswegen unzulässig, weil die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte […] durch das angegriffene Zustimmungsgesetz nicht haben darlegen können. Der Vertrag bestätigt nur die jedenfalls faktisch seit langem zwischen Deutschland und Polen bestehende Grenze. Darin liegt eine völkerrechtliche Bestimmung der territorialen Zuordnung eines Gebietes zu einem Staat, nicht dagegen eine hoheitliche Verfügung über privates Eigentum."
Anders als Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1973 und 1975 lässt dieses Urteil keine Hintertür offen. Es bedeutet die definitive Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.
Autor des Hörfunkbeitrags: Christoph Vormweg
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 13. Juli 2022 an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Oder-Neiße-Grenze. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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