9. April 1872 - Patent für die Herstellung von Milchpulver

Stand: 31.03.2022, 10:20 Uhr

Das nahrhafte weiße Pulver ist Segen und Fluch: Milchpulver rettet bis heute unterernährten Babys in aller Welt das Leben. Wird es aber nicht richtig zubereitet, kann es Säuglingen schaden. Und: Muttermilch bleibt die beste Nahrung für Neugeborene. Ein moralisches Dilemma für die gut verdienenden Hersteller.

Mitte des 19. Jahrhunderts laufen die Geschäfte von Henri Nestlé mehr schlecht als recht. Der gelernte Apotheker stellt in seinem Schweizer Labor Kunstdünger, Likör, Essig, Zement, Senfpulver und Mineralwasser her. Ein Flüssiggas für Straßenlaternen bringt ebenfalls nicht den erhofften wirtschaftlichen Erfolg.

Das ändert sich 1867: Nestlé entwickelt das sogenannte "Kindermehl" zur Produktreife. Das Pulver aus den Hauptbestandteilen Milch, Zucker und Brot soll in Flaschen angerührt Muttermilch ersetzen. Dabei greift der Unternehmer auf die Erkenntnisse des Chemikers Justus von Liebig zurück, der die Zusammensetzung der Muttermilch analysiert hat.

Die Patentierung des Milchpulvers (am 09.04.1872) WDR ZeitZeichen 09.04.2022 14:31 Min. Verfügbar bis 09.04.2099 WDR 5

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"Kindermehl" wird zum Verkaufsschlager

Nach einem erfolgreichen und äußerst werbewirksamen Test seines "Kindermehls" an einem kranken Säugling hat Nestlé endlich seinen Verkaufsschlager. Schnell baut er eine Fabrik mit einer Kapazität von täglich 1.000 Dosen Milchpulver auf. Am 9. April 1872 wird die Herstellung des Milchpulvers patentiert, die hauptsächlich auf Kuhmilch und Wasser basiert.

Die Rezeptur wird seither laufend weiterentwickelt. Heute setzen die verschiedenen Hersteller zum Beispiel bestimmte Lactobakterien zu, die der Darmflora der Babys beim Verdauen helfen. Zudem dürfen in der Trockenmilch nicht zu viele Mineralien enthalten sein, weil ansonsten die Nieren des Babys belastet würden.

Das Ende der Ammen

Mit der Erfindung des Milchpulvers wird der Beruf der Amme, die bislang eingesprungen ist, wenn Mütter ihre Kinder nicht stillen konnten oder wollten, hinfällig. Das Milchpulver wird in Hungersnöten und Kriegen ein wichtiger Lebensretter für die Jüngsten der Gesellschaft. Oder auch, wenn es gar keine Mutter gibt, die das Baby versorgen kann.

Eigentlich sollte der Griff zum Milchpulver laut Experten in keinem Fall der Standard oder die Normalität sein oder gar das Stillen ersetzen. Muttermilch ist das ideale Lebensmittel für ein Neugeborenes. Doch mit der Zeit greifen immer mehr Mütter zu Milchpulver. Stillen gilt – auch durch entsprechende Werbung – zeitweise als altmodisch, das "Fläschchen" als chic und modern.

Doch gerade in ärmeren Ländern führt das zu Problemen: Das für die Zubereitung zugängliche Wasser entspricht nicht immer die notwendigen hygienischen Bedingungen. Verunreinigungen des Wassers oder der Flaschen führen zu lebensbedrohlichen Durchfällen bei Säuglingen.

Probleme in den Entwicklungsländern

Dennoch wirbt beispielsweise Nestlé in den 1970er und 80er Jahren auch aggressiv in Afrika für das Milchpulver und gerät damit moralisch ins Abseits. Der Vorwurf: Hersteller nehmen aus Profitgründen in Kauf, dass Eltern das Milchpulver nicht ordnungsgemäß zubereiten können – und gefährden damit die Gesundheit der Babys.

Als Folge verabschiedet die Weltgesundheitsorganisation WHO 1981 einen Kodex über Mindeststandards für die Vermarktung von Muttermilch-Ersatzprodukten. Allerdings unterbreitet die WHO nur Vorschläge, umsetzen müssen die einzelnen Länder den Kodex in eigenen Gesetzen. Und das haben bis heute nur wenige Länder getan.

Autorinnen des Hörfunkbeitrags: Anja und Doris Arp
Redaktion: Matti Hesse

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 09. April 2022 an Milchpulver. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

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