12. Juli 1870 - Herstellung von Zelluloid wird patentiert

Stand: 12.07.2020, 00:00 Uhr

Wer Mitte des 19. Jahrhunderts Billard spielt, gilt nicht gerade als Naturschützer. Im Gegenteil: Billardkugeln bestehen aus Elfenbein. Tausende Elefanten müssen ihr Leben lassen, um allein die vielen Saloons in den USA zu versorgen.

Teuer ist der seltene Rohstoff auch noch. Also wird ein Wettbewerb ausgeschrieben: 10.000 Dollar für eine brauchbare Alternative zu Elfenbein.

Sieht aus wie Glas, ist aber zäh

Der experimentierfreudige Druckergeselle John Wesley Hyatt macht sich ans Werk. Er überzieht einen Ball ausgepresster Stoffreste mit Kollodium, einer zähen, leimartigen Tinktur. Die stellt er aus Ether, Alkohol und nitrierter Cellulose her.

Für letzteres tränkt er Baumwolle in Salpetersäure. Es entsteht ein Stoff, der aussieht wie Glas, aber sehr zäh ist. Sein Bruder Isaiah tauft es Zelluloid.

Patent für Zelluloid (am 12.07.1870) WDR 2 Stichtag 12.07.2020 04:13 Min. Verfügbar bis 10.07.2030 WDR 2

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Zelluloid ist zu explosiv

Der richtige Überzug für Billardkugeln? Nicht wirklich, denn es gibt einen unüberhörbaren Nachteil: Prallen die Kugeln hart aufeinander, entstehen winzige Explosionen.

Zelluloid ist chemisch betrachtet mit Dynamit verwandt und leicht entflammbar. Ein Saloonbesitzer schreibt Hyatt: "Jedes Mal, wenn die Kugeln zusammenstoßen, ziehen alle Männer im Raum den Revolver."

Von Zahnbürsten bis Spielzeug

Hyatt bekommt kein Preisgeld, dennoch ist seine Erfindung vielversprechend. Vermischt mit ätherischen Ölen und Farbe, ist Zelluloid unter Hitze formbar. Beim Erkalten erstarrt es, ohne brüchig zu werden.

Von nun an lassen sich Artikel aus Elfenbein, Büffelhorn oder Ebenholz günstig imitieren. Von Zahnbürsten über Messergriffe bis Spielzeug - das Zeitalter des Kunststoffs bricht an. Am 12. Juli 1870 erhält Hyatt das Patent auf Zelluloid.

Feuer in der Filmdose

Große Bekanntheit erlangt der Kunststoff durch die Filmindustrie. Aber die Filmemacher kämpfen ebenfalls mit der Entflammbarkeit. Ganze Projektoren brennen ab, in verschlossenen Blechdosen kann sich die Filmrolle sogar selbst entzünden.

"Noch heute haben viele Archive das Problem, dass es zu Bränden kommen kann", sagt Andrea Siebert-Raths, Chemikerin an der Hochschule Hannover. Nicht umsonst heißen Zelluloidfilme auch Nitrofilme.

Noch in den 1950er-Jahren wird auf Zelluloid gedreht, in anderen Bereichen haben Kunststoffe aus Erdöl seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Nase vorn. Sie bieten bessere Eigenschaften, belasten die Umwelt aber stärker.

Heute sind Hersteller wieder vermehrt auf der Suche nach biobasierten Kunststoffen. So wie Zelluloid - nur mit besserer Performance.

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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 12. Juli 2020 ebenfalls an die Patentierung von Zelluloid. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.

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