"Meine Lieben! Bin gut gelandet, es geht gut! Komme nach Oberschlesien, noch in Deutschland. Herzliche Grüße und Küsse, Euer Juller!" Diese Karte zum 16. Geburtstag seiner Tochter ist das letzte Lebenszeichen von Julius Hirsch. Im Jahr 1950 erklärt ihn das Amtsgericht Karlsruhe für tot.
Dass Hirsch Jude ist, spielt bis 1933 eigentlich keine Rolle. Julius Hirsch, den alle nur "Juller" nennen, ist Deutscher. Geboren 1892 wächst er als Sohn eines Kaufmanns in Karlsruhe auf. Bereits mit zehn Jahren schließt sich Julius dem Karlsruher FV an und reift dort zu einem der besten Fußballer seiner Zeit. Hirsch trägt siebenmal das Trikot der deutschen Nationalmannschaft, ist Olympiateilnehmer und wird zweimal Deutscher Meister: 1910 mit dem KFV und 1914 mit der Spielvereinigung Fürth.
Hirsch für besondere Tapferkeit ausgezeichnet
Hirsch ist auf dem Höhepunkt seiner fußballerischen Karriere, als der Erste Weltkrieg ausbricht. Für ihn und seine drei Brüder ist es selbstverständlich, für ihr Vaterland zu kämpfen. Für seine Tapferkeit bekommt er das Eiserne Kreuz. Nach dem Krieg spielt er wieder Fußball - zunächst in Fürth und dann erneut bei seinem Heimatklub, dem Karlsruher FV. 1925 beendet er seine aktive Karriere.
Die 20er-Jahre sind eine glückliche Zeit, privat und beruflich. Hirsch heiratet und bekommt zwei Kinder. Gemeinsam mit seinem Bruder Max leitet er ab 1926 erfolgreich das familieneigene Unternehmen, das sich auf die Fabrikation von Sportartikeln und Lederwaren spezialisiert hat. Doch die Weltwirtschaftskrise bringt das Geschäft zum Erliegen. 1933 muss die Firma Konkurs anmelden - im Jahr der Machtübetragung an die Nationalsozialisten.
Im selben Jahr beschließen zahlreiche Fußballklubs in vorauseilendem Gehorsam - denn es gibt noch keine offizielle Anordnung - Juden aus ihren Vereinen auszuschließen. Darunter auch der Karlsruher FV. Tief getroffen, erklärt Hirsch einen Tag später seinen Austritt und kommt so dem demütigenden Ausschluss zuvor.
Selbstmordversuch, Zwangsarbeit, Scheidung
Seine Lage erscheint ihm in den folgenden Jahren zunehmend ausweglos, was 1938 in einem Selbstmordversuch gipfelt. Er überlebt zwar, aber sein Leben bleibt eine einzige Demütigung. Ab 1939 ist er Zwangsarbeiter auf einem Schuttplatz. Ende 1942 lässt sich das Ehepaar Hirsch zum Wohle der Kinder scheiden.
Am 1. März 1943 steigt er in einen Zug zum - wie es amtlich heißt - "Arbeitseinsatz im Osten". Endstation: Auschwitz-Birkenau. Bei einem Zwischenstopp in Dortmund gelingt es Hirsch am 3. März 1943 noch die Karte an seine Tochter abzuschicken, danach verliert sich seine Spur. Das Eingangsbuch des Konzentrationslagers nennt für den nächsten Tag 150 Männer, der Name Julius Hirsch ist nicht darunter. Wahrscheinlich wird er direkt nach Ankunft des Transports ermordet.
Der einstige Nationalspieler gerät in Vergessenheit, auch weil der Deutsche Fußball-Bund an der Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte in der NS-Zeit jahrzehntelang nicht interessiert ist. Das ändert sich erst um die Jahrtausendwende. Seit 2005 verleiht der DFB jährlich den Julius-Hirsch-Preis gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung.
Autor des Hörfunkbeitrags: Ulli Schäfer
Redaktion: David Rother
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