Zu Beginn des 20. Jahrhunderts liefern sich die europäischen Kolonialmächte einen Wettkampf um die Bodenschätze Marokkos. Das deutsche Kaiserreich hat dabei das Nachsehen. Spanien und Frankreich hingegen teilen sich das Land als Protektoratsgebiete unter sich auf: Ab 1912 besetzen die Franzosen das Sultanat Marokko und die Spanier das Rif-Gebirge.
Das Rif ist besonders begehrenswert: Dort gibt es Eisenerze, Kupfer, Blei, Silber und riesige Phosphat-Lagerstätten. Der Gebirgszug erstreckt sich von der Straße von Gibraltar parallel zur Mittelmeerküste bis zur Stadt Melilla und ist nur dünn von Berberstämmen besiedelt. Einer der Einheimischen dort ist Abd el-Krim. Er hat im spanischen Salamanca Jura studiert und genießt das Vertrauen der Spanier. Daher wird er zum obersten Richter in Melilla ernannt.
Schlacht bei Anoual
Zunächst befürwortet Abd el-Krim das spanische Modernisierungsprojekt in seiner Region. Doch nach zehn Jahren wendet er sich ab: Die Spanier begehen bei ihrer Expansion militärische Grausamkeiten. "Die Fotografien muss man sehen mit den abgeschnittenen Köpfen, den ausgestochenen Augen", empört sich Abd el-Krim. "Ist dies eines zivilisierten Landes würdig, dass uns die Zivilisation bringen will?"
Abd el-Krim gelingt es, die in Blutfehden zerstrittenen Berberstämme des Rif im Kampf gegen die vorrückenden Spanier zu einen. Unter seiner Führung überziehen die Einheimischen die zahlenmäßig überlegenen und besser ausgerüsteten Spanier mit einem Guerilla-Kampf. 1921 bereiten die Berber den Kolonisatoren bei der Schlacht von Anoual eine vernichtende Niederlage. Spaniens General Silvestre begeht aus Scham Suizid.
Rif-Republik ausgerufen
Während die Spanier noch den Gegenschlag vorbereiten, ruft Abd el-Krim im Februar 1923 die "Republik der Stämme des Rif" aus. Doch ihr wird die internationale Anerkennung verwehrt. Zu groß ist die Furcht, dass die Rif-Rebellen ein Vorbild für andere Aufstände gegen die Kolonialmächte sein könnte.
Im Melilla, Barcelona und Madrid werden mit der Hilfe deutscher Spezialisten Giftgasfabriken gebaut. 1925/26 wirft Spanien mehr als 10.000 Senfgas-Bomben ab. Die Berber-Dörfer, die versprengt im Fels- und Berggelände liegen, werden verseucht. Menschen ersticken oder leiden unter Langzeitfolgen. Abd el-Krim bittet das Internationale Kreuz um Hilfe - ohne Erfolg.
Nach Réunion verbannt
Nach der Verseuchung der Ernten im Rif greift Abd el-Krim die Franzosen an und rückt mit seinen Guerilla-Kämpfern fast bis zur Stadt Fes und ins landwirtschaftlich reiche Ouerga-Tal vor. Trotz einiger erfolgreicher Schläge gegen die Franzosen gerät Abd el-Krim immer mehr in die Defensive. 1926 ergibt er sich den Franzosen, die ihn für 21 Jahr auf die Insel Réunion im Indischen Ozean verbannen.
Als Abd el-Krim 1947 nach Frankreich gebracht werden soll, gelingt es ihm, sich während der Fahrt durch den Suezkanal nach Kairo abzusetzen. Dort wird er kurz darauf Präsident der Maghreb-Abteilung der Arabischen Liga, die sich für die Befreiung ganz Nordafrikas einsetzt. Neben Marokko geht es auch um Algerien und Tunesien.
1956 ist es soweit: Das vereinigte französisch und spanisch besetzte Marokko wird unabhängig. Abd el-Krim bleibt jedoch in Kairo, wo er am 6. Februar 1963 mit 81 Jahren stirbt - ohne das Rif je wieder gesehen zu haben.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Marfa Heimbach
Redaktion: David Rother
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 6. Februar 2023 an Abd El Krim. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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