"Das ist ein riesiges Durcheinander", berichtet ein Vater im Gespräch mit dem WDR. Sein 13-jähriger Sohn geht auf eine Dortmunder Schule und nutzt seit einigen Jahren ein iPad im Unterricht. Um seinen Sohn zu schützen, möchte der Vater anonym bleiben.
Unterschiedliche Anforderungen je nach Lehrkraft
Das beschriebene "Durcheinander" zeige sich zum Beispiel daran, dass jede Lehrkraft die Geräte anders einsetze und andere Wünsche und Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler habe. "Das führt momentan dazu, dass wir überhaupt keinen Überblick mehr haben und die Kinder natürlich auch nicht", so der Vater.
Es sei beispielweise von Fach zu Fach unterschiedlich, wie Arbeitsblätter digital bearbeitet und abgelegt werden müssen. "Das ist jedes Mal vor den Klassenarbeiten eine Katastrophe, das irgendwie zusammen zu sammeln. Das ist mit wirklich viel Aufwand verbunden und führt zu einer echten Orientierungslosigkeit."
Schilderungen wie diese seien kein Einzelfall, berichtet Daniel Schlep. Der Dortmunder Medienpädagoge hört immer wieder von solchen Problemen: "Den Schülerinnen und Schülern wird nicht beigebracht, einen digitalen Haushalt zu führen", so Schlep. "Während wir die Schulen mit Geräten fluten, fehlt das Hintergrundwissen. Die wirklichen Grundlagen im Umgang mit iPads werden an ganz vielen Schulen überhaupt nicht gelehrt."
Schlep: Seminare gehen nicht in die Tiefe
Es gebe zwar Seminarangebote für Lehrerinnen und Lehrer, diese seien häufig aber viel zu oberflächlich. "Die Lehrerinnen und Lehrer bekommen zum Beispiel eine iPad-Fortbildung. Dort lernen sie, wie sie das Apple-Betriebssystem bedienen", so Schlep. "Das ist Marken-Wissen, kein Meta-Wissen."
Außerdem schildert der Dortmunder Vater, der Umgang an der Schule sei völlig unkritisch. "Was ist mit dem Datenschutz? Wo liegen die Risiken? Was unterscheidet Apple von Linux von Microsoft?" Solche Fragen würden im Unterricht kaum eine Rolle spielen.
Medienpädagoge Daniel Schlep ordnet ein: "Die Geräte werden fast nur unreflektiert genutzt". Ein weiteres Problem sei, dass viele Schülerinnen und Schüler auf den Tablets während des Unterrichts spielen, Videos schauen oder im Internet shoppen.
iPad von morgens bis abends im Dauer-Betrieb
Und auch außerhalb der Schule sei das iPad quasi im Dauerbetrieb. "Es wird erwartet, dass die Kinder sich über verschiedene Kanäle informiert halten – zum Beispiel über ihren Lern-Account, über E-Mails, über die Homepage der Schule", berichtet der Dortmunder Vater.
Bereits vor dem Frühstück gehe deshalb der erste Blick auf das iPad, um nachzuschauen, ob Unterricht ausfällt. Nach der Schule würden Lehrerinnen und Lehrer teilweise noch bis 18.00 Uhr Hausaufgaben schicken. "Es gibt keine Pausen mehr", erklärt er. "Ich muss den Zugang zum iPad quasi rund um die Uhr ermöglichen mit dem Effekt, dass ich keine Kontrolle mehr habe und dass natürlich eine gewisse Abhängigkeit gefördert wird."
Der Dortmunder Vater glaubt, dass das bereits negative Auswirkungen auf seinen Sohn hat. "Die Konzentrationsfähigkeit ist ein Riesenproblem. Es ist wirklich schwierig, dass mein Sohn bei einem Thema bleibt und sich länger konzentriert."
Daniel Schlep stellt klar: Die Digitalisierung an Schulen sei sehr wichtig, aber sie habe noch nicht den entsprechenden Stellenwert. "Bisher behandeln wir die Digitalisierung nicht wie eine historische Zäsur, sondern eher wie ein Fach oder eine Disziplin. Nach dem Motto: Da können sich dann die drei IT-Fachkräfte der Schule drum kümmern – und das restliche Personal der Schule kriegt mal eine Fortbildung", so der Medienpädagoge.
Schlep: Fastfood-Mentalität bei der Digitalisierung
Das sei ein Problem, denn Computer und Tablets könnten den Unterricht durchaus bereichern. Aber nur, wenn auch das entsprechende Hintergrundwissen vorhanden sei. "Gerne digitalisieren, aber sauber und gesund digitalisieren", erklärt Schlep. Derzeit sei das Gegenteil der Fall: Es herrsche beim Thema Digitalisierung eine Art Fastfood-Mentalität, erklärt er.
"Niemand würde ernsthaft auf die Idee kommen, in einer Lehreinrichtung am Beispiel von McDonalds gute Ernährung zu erläutern", so der Medienpädagoge. "Im Bereich der Medien erläutern wir aber nahezu unreflektiert am Beispiel von Apple, Google, Microsoft angeblich gute Digitalisierung. Entscheidungsträger, Lehrer, Eltern und Kinder kennen fast alle nur digitales Fastfood."
Und das habe Folgen: Rund 77.000 iPads gibt es mittlerweile an Dortmunder Schulen, damit sei der Hersteller Apple quasi Monopolist, erklärt Schlep. "Diese Geräte sind voraussichtlich in ungefähr fünf Jahren Elektroschrott, da nur die Firma Apple die tatsächliche Kontrolle über die Lebensdauer der Geräte besitzt."
Hohe Kosten in Zukunft möglich
Mit Blick auf die Zukunft prognostiziert der Experte: "Das neue iPad kostet deutlich mehr. Und jetzt stelle ich die Frage an die Beschaffungsämter: Wer hat das zugelassen und nicht weit genug gedacht? Hier ist ein globaler Monopolist. Und dieser Monopolist kann jetzt an der Preisschraube drehen."
Es könnte also teuer werden, wenn in einigen Jahren tausende neue Geräte angeschafft werden müssen. "Die Preissteigerungen sind eine erhebliche Herausforderung, nicht nur mit Blick auf die Tablets", teil die Stadt Dortmund auf WDR-Anfrage mit. In Zukunft kämen auf die "Schulträger dauerhaft erhebliche Kosten zu" - auch im Falle eines Herstellerwechsels.
"Hier sind Bund und Land in der Pflicht, eine dauerhafte Lösung für die Finanzierung sicherzustellen", so die Stadt. Sie habe dem Land bereits die Einführung einer Schulpauschale vorgeschlagen. Gemeint ist damit ein fester Betrag, den das Land jährlich für jeden Schüler und jede Schülerin zur Verfügung stellt. "Der Städtetag NRW unterstützt diesen Vorschlag", so die Stadt.
Auf die anderen Kritikpunkte des Vaters und des Medienpädagogen geht die Stadt Dortmund auf Nachfrage des WDR nicht ein. Hier sei die Schulaufsicht der Bezirksregierung Arnsberg zuständig.
Schlep fordert Open-Source-Software
Daniel Schlep fordert, dass die Schulen sich in Zukunft bei der Auswahl von Hard- und Software breiter aufstellen und auf Freie-Open-Source-Software setzen.
Nur so könnten digitale Souveränität und echte Medienkompetenz erreicht werden. Zudem müssten ausführlichere Schulungen und bessere Konzepte her, so der Medienpädagoge. Und der Dortmunder Vater wünscht sich für die Kinder, dass die Lehrerinnen und Lehrer endlich ein einheitliches digitales Ablagesystem einführen.