Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dankte Mevlüde Genç dafür, dass sie nach dem Brandanschlag für Versöhnung eintrat, aber auch, dass sie von der gesamten Gesellschaft forderte, hart gegen Rechtsextremismus, Hass und Gewalt vorzugehen.
Die Tat von Solingen sieht Steinmeier in einer Reihe rassistischer Taten - vor 1993 und nach 1993. "Rechtsextreme und Rassisten entmenschlichen den Einzelnen, um ihn zu hassen – und verbreiten damit Angst und Schrecken unter all jenen, die zu Opfern werden könnten. Ich nenne das: Terror", so Steinmeier. Dieser rechte Terror sei verantwortlich für die Toten in Solingen. Diesen rechten Terror habe es vor Solingen gegeben, und es gebe ihn nach Solingen.
Bundespräsident Steinmeier forderte, Hetze und Hass entgegenzutreten. Jeder Bürgerin, jeder Bürger habe eine Verantwortung. "Ich wünsche mir Mitmenschen, die an einer Bushaltestelle eingreifen, wenn ein Mädchen rassistisch beschimpft und attackiert wird. Die es nicht dulden, wenn an einer Schule Hakenkreuze an die Wände geschmiert werden."
Familie wünscht sich Museum am Anschlagsort
In einer bewegenden Rede gedachte Özlem Genç, eine Enkelin von Mevlüde Genç ihren Verwandten, die sie nie kennenlernen durfte. Sie wurde 1999 geboren, seitdem sie denken und fühlen kann, nehme sie war das da was war, so Özlem Genç. Doch gesprochen wurde darüber nie. "Schweigen muss die Sprache der Schmerzerfüllten sein," sagt sie.
In ihrer Rede äußerte Özlem Genç einen Wunsch ihrer Familie: Am Anschlagsort in der Unteren Wernerstraße, wo jetzt fünf Kastanienbäume stehen, solle ein Haus des Gedenkens entstehen. Ein Museum zum Brandanschlag, das eine zentrale Gedenkstätte werden solle.
"Wir dürfen niemals wieder wegsehen"
Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach nannte den Anschlag vor 30 Jahren einen Angriff auf die Menschlichkeit. Dieser habe den Geist der Stadtgesellschaft verändert. "Solingen will und muss mehr tun als andere Kommunen, wir haben ein Wächteramt", so Kurzbach. Solingen werde aufstehen und widersprechen. Man werde noch viel entschiedener gegen Hass und Gewalt eintreten.
Es sei nicht nur ein Gedenken an die Opfer das Anschlags, sondern auch eine Erinnerung und Ehrung an Mevlüde Genç und ihre Verdienste für die Versöhnung in Solingen. Kurzbach danke auch den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die sich seit 30 Jahren für ein buntes und tolerantes Solingen einsetzen.
Menschenliebe dem Hass entgegengesetzt
NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst sieht im 29. Mai 1993 einen der dunkelsten Tage Nordrhein-Westfalens. Seitdem sei immer wieder die Rede von Fremdenfeindlichkeit. Doch sei Fremdenfeindlichkeit ein irreführender Begriff. Wüst spricht von Menschenfeindlichkeit. Mevlüde Genç habe dieser Menschenfeindlichkeit Menschenliebe entgegengesetzt. Dafür dankte er ihr.
Auch heute gebe es Menschenfeindlichkeit. Diese zeige sich in subtiler Alltagsdiskriminierung, durch Hetze im Netz aber auch immer wieder in Gewalt. Es sei beunruhigend, dass rechtsextreme Propaganda und Straftaten zunehmen. Dagegen müsse man antreten - jeden Tag.
Deutsche und Türkische Gäste
An der Gedenkfeier im Konzert- und Theaterhaus in Solingen nehmen rund 600 geladene Gäste teil. Darunter waren Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst und Bundesinnenministerin Nancy Faeser sowie der stellvertretende türkische Außenminister Yasin Ekrem Serim und der türkische Botschafter.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sich bereits vor der Veranstaltung mit der Familie Genç getroffen und über eine Stunde mit den Angehörigen zusammengesessen. Danach hat sich Steinmeier in das Goldene Buch der Stadt Solingen eingetragen.
Demonstrationen zum Jahrestag
Mehrere Demonstrationen waren für den Jahrestag angemeldet. Bei der Größten unter dem Motto "Bündnis Solingen 93 - Unutturmayacağiz! Niemals vergessen!" in der Solinger Innenstadt nahmen am Mittag rund 300 Personen teil.
Ausstellung "Solingen 93" eröffnet
Im Solinger Zentrum für verfolgte Künste wurde am Pfingstmontag außerdem die neue Ausstellung "Den Opfern ein Gesicht, den Betroffenen eine Stimme geben" eröffnet. Dabei waren neben der Familie Genç auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Kulturstaatsministerin Claudia Roth sowie Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach anwesend.
Die Schau zeigt unter anderem viele Dokumente der Zeitgeschichte. Gibt aber auch den Besuchern die Möglichkeit, ihre Erinnerungen und Gedanken in einem kleinen Filmstudio festzuhalten.