William Booth ist alarmiert. In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts ist der Methodist aus armem Hause nach London übersiedelt, wo ihm die sozialen Folgen der Industrialisierung besonders krass ins Auge fallen. "Ich ging und sah die verkommenen Söhne und Töchter der Ausschweifung, des Lasters und Verbrechens, die mich umgaben", wird er später notieren. "Trunksucht und Prostitution, die Armut, die Wohnungsmisere, die Gotteslästerung und der Unglaube dieser Leute, all das übte einen Anreiz auf mich aus."
Der methodistischen Lehre gemäß, die weniger auf Glaubenslehren als vielmehr auf die christlich rechte Lebensführung zielt, beschließt Booth zu handeln. Am 2. Juli 1865 hält er im Londoner Hafenviertel eine Rede, in der er seine Grundsätze verkündet. Das Ereignis gilt als eigentliches Gründungsdatum der Heilsarmee.
"Heilskrieg" in Uniform
Grundidee der Heilsarmee ist es, den Armen und Verirrten mit Essen, einem warmen Schlafplatz und guten Worten zu dienen – und sie so auf den rechten Pfad des Glaubens zu führen. Gegründet wird die Organisation von Booth und seiner Frau Catherine, die als Kind oft krank und bettlägerig war und deshalb bis zu ihrem zwölften Geburtstag nach eigener Aussage die Bibel bereits acht Mal durchgelesen hat. Sie bringt die emanzipatorische Idee mit in die Heilsarmee: Von Anfang an dürfen Frauen ebenso wie die Männer predigen. Und von Anfang an stehen ihnen alle Hierarchiestufen offen.
Um seine Idee zu verwirklichen, sammeln William und Catherine Booth Spenden. Und sie rekrutieren gleichgesinnte Krieger. Darunter sind auch Bekehrte "aus den gottlosen Massen, die jetzt in ihrer Freizeit alles Mögliche tun, um andere von Unglauben, Trunkenheit, Laster und Verbrechen zu retten." Um seinen Plan zu verwirklichen, erfindet das Paar ein militärisches Hierarchiesystem, in dem jeder zum Offizier – und im Idealfall sogar zum General – aufsteigen kann. Dass die Soldaten ab 1878 im "Heilskrieg" eine Uniform bekommen, mag heute befremden. Damals wirkt es eher anziehend.
1,7 Millionen Mitglieder
1880 gründet die Heilsarmee das erste Heim für zwangsprostituierte Mädchen und deren Kinder, inklusive einer Entbindungsstation. Von England aus expandiert die Organisation auch in die USA und nach Australien. 1881 schicken die Booths zudem ihre Tochter ins verrufene Paris. Kneipen- und Bordellbesitzer fühlen sich von den Aktivisten der Heilsarmee extrem gestört, wenn diese mit Trompeten, Posaunen und Trommeln lautstark auf sich aufmerksam machen. Ein ums andere Mal dürfen sich ihre Vertreter als Märtyrer fühlen. Trotz aller auch handgreiflichen Anfeindungen expandiert die Organisation weiter. Und findet immer mehr Bewunderer. Als William Booth, inzwischen Ehrenbürger seiner Heimatstadt, 1912 in London stirbt, kommen zur Trauerfeier ins Olympiastadion 40.000 Menschen.
In Deutschland hat die Heilsarmee mit ihren rund 1.300 Soldaten oftmals den Ruf eines Häufleins kurioser Gestalten. In den USA aber hat sie den Stellenwert, der hierzulande in etwa dem Roten Kreuz entspricht. Weltweit unterhalten ihre etwa 1,7 Millionen Mitglieder in 126 Ländern Schulen, Krankenhäuser, Kleiderkammern und Suppenküchen.
Stand: 02.06.2015
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 2. Juli 2015 ebenfalls an die Gründung der Heilsarmee. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.