Stichtag

13. April 2005 - "The Genographic Project" wird gestartet

Vor mehr als 100 Jahren beginnt die Wissenschaft zu enträtseln, auf welchen Wegen sich der moderne Mensch auf der Welt verbreitet hat. In jüngster Zeit erhalten Anthropologen und Archäologen dabei Unterstützung von Genetikern, die nicht mit Knochenfunden, sondern mit Wattestäbchen und DNA-Analysen auf die Reise in die Vergangenheit gehen.

Seit Anfang der 1990er Jahre sind Computer in der Lage, die bei globalen Gentests massenhaft anfallenden Datenmengen zu verarbeiten. 13 Jahre dauert es, bis 2003 die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms gelingt. Nun gilt es zu beweisen, auf welchen Routen Homo sapiens die Welt eroberte und welche Ur-Verwandtschaft zwischen den Völkern und Kulturen besteht.

Mutationen auf der Spur

Für den US-Genetiker Spencer Wells ist DNA ein historisches Dokument. Von den Anfängen in Afrika vor rund 200.000 Jahren an können Wells und seine Mitarbeiter alle Wanderungen unserer Spezies durch Eurasien im genetischen Code ablesen. Denn bei der Weitergabe von Generation zu Generation leistet sich die Natur hin und wieder geringe Abweichungen im Erbgut. Nach diesen Mutationen suchen die Gen-Scouts. Weisen zwei heute lebende Menschen dieselbe genetische Veränderung auf, so müssen sie irgendwann einmal einen gemeinsamen Ahnen gehabt haben.

Um aber aus den seltenen Mutationen einen Stammbaum samt Wanderkarte der Menschheit filtern zu können, benötigt Spencer Wells DNA-Proben von möglichst vielen Individuen aus aller Welt. Im April 2005 startet er deshalb gemeinsam mit der National Geographic Society das privat finanzierte "Genographic Project". "Es war das erste weltweit koordinierte Bestreben, die Geschichte der Menschheit zu kartieren", so Wells. Für knapp 200 Dollar kann jeder ein Gentest-Set bestellen und den Forschern zur Verfügung stellen. Als Gegenleistung erhalten die Einsender einen Nachweis über die eigenen Vorfahren bis in die Vorgeschichte.

Alle sind Migranten

Die Resonanz auf "The Genographic Project" übertrifft Wells‘ Erwartungen bei weitem. "Als wir das Projekt ankündigten, bestellten noch am selben Tag 10.000 Menschen unser Gentest-Set." Inzwischen ist das Forschungsprogramm mit mehr als 700.000 Proben aus über 140 Ländern zur wohl größten anthropogenetischen DNA-Datei angewachsen. Einige grundlegende Fragen haben die Genografen bereits beantwortet können: Sind die Europäer Nachfahren der einheimischen Jäger und Sammler, hat die Urbevölkerung den Ackerbau aus dem Nahen Osten übernommen? Nein, weiß Spencer Wells: "Durch die DNA-Analysen konnten wir nachweisen, dass die ursprüngliche Bevölkerung verdrängt und ersetzt wurde.“

Wir alle sind also Nachfahren von Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten. Äußerliche Unterschiede unter den Menschen weltweit täuschen laut Wells über die wahre Verwandtschaft hinweg: "Schaut man unter die Oberfläche auf die DNA, dann sind wir alle wesentlich näher miteinander verwandt, als wir jemals vermutet hätten." Ein weiteres erstaunliches Phänomen bezeichnen die Forscher als "Bevölkerungs-Flaschenhals": Vor rund 80.000 Jahren überlebten offenbar nur wenige tausend Erdbewohner einen verheerenden Vulkanausbruch und seine klimatischen Folgen. Alle der heute über sieben Milliarden Menschen stammen demnach von einer Ur-Bevölkerung ab, die locker in jede Bundesliga-Arena passen würde.

Stand: 13.04.2015

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