1969 ist ein wichtiges Jahr für die USA: Hunderttausende Hippies feiern in Woodstock und der erste Mensch betritt den Mond. Viel Aufmerksamkeit erhält auch ein unscheinbareres Bild: ein heller Faden auf grauem Untergrund. Es ist die erste Aufnahme eines einzelnen Gens, veröffentlicht am 22. November 1969, im Wissenschaftsmagazin Nature. Es stammt vom Darmbewohner Escherichia coli. Es ist der Bauplan für ein Protein, das dem Bakterium hilft, sich von Milchzucker zu ernähren.
Forscher warnen vor Missbrauch der Gentechnik
"Es war die erste Isolation eines Gens, deswegen hat das schlichte Bild zu so viel Aufregung geführt", erinnert sich Professor Jonathan Beckwith, Molekularbiologe und Genetiker an der Universität Harvard. Auf einer Pressekonferenz zeigen Beckwith und seine Kollegen damals Elektronenmikroskop-Aufnahmen und beschreiben, wie sie das Gen vom Rest des Erbguts getrennt haben. Doch dann werden die Forscher grundsätzlich: Sie warnen vor dem Missbrauch der Gentechnik. Einmal isoliert, ließe sich ein Gen auch an anderer Stelle einbauen, sagen die Forscher. Auch wenn es bis zum Klonschaf Dolly noch ein weiter Weg ist, die Manipulation von Erbgut ist 1969 zum ersten Mal greifbar. "Unser Durchbruch ist ein Vorbote, dort werden Biologie und Genetik hingehen. Wir werden dazu in der Lage sein, menschliche Gene zu untersuchen und zu manipulieren", sagt Beckwith damals.
Weltweit berichten Medien über das erste abgetrennte Gen und den möglichen Beginn einer neuen Ära. Doch so weit ist es noch nicht: Die Methode aus Harvard ist mühsam. So werden zum Beispiel zwei Arten von Viren benötigt, die das Bakterium befallen und sich das richtige Stück Erbgut aneignen. Die Methode wird danach auch kaum von anderen Labors übernommen. Fachkollegen sprechen mehr über die Pressekonferenz und die Kritik an der Gentechnik als über das Forschungsergebnis als solches.
Beckwith protestiert gegen genetische Untersuchung
Bis heute hinterfragen Beckwith und seine Kollegen den Fortschritt auf dem Gebiet der Genetik. Besonders heftig protestiert Beckwith in den 1970er-Jahren gegen eine genetische Massenuntersuchung in einem Bostoner Krankenhaus. Für eine Studie untersucht das Personal, welche neugeborenen Jungen ein zusätzliches Y-Chromosom haben. Angeblich sollen sich die betroffenen Jungen später besonders aggressiv verhalten. Sein Protest gegen die sozialen Konsequenzen dieser Studie kostet Beckwith fast seinen Lehrstuhl.
Inzwischen 78 Jahre alt, lehrt Beckwith immer noch an dem Ort, an dem die Geschichte der Gentechnologie begann. Das erste vereinzelte Gen, von ihm und seinen Kollegen isoliert, wurde jedoch nirgendwo eingebaut.
Stand: 22.11.2014
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 22. November 2014 ebenfalls an die Isolation des ersten Gens. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.