Heute schon gevotet? Täglich fordern uns Fernsehsendungen und Online-Medien dazu auf, per Stimmabgabe unsere Ansicht zu aktuellen Themen mitzuteilen. Meinungsforscher nehmen Konsumenten im Dienste der Industrie unter die Lupe; Demoskopie-Institute veröffentlichen regelmäßig Polit-Barometer, Deutschlandtrends und Wahlprognosen. Nie war Bürgers Meinung so gefragt wie heute.
Mit der Frage "Wer wird nächster Präsident der USA?" eröffnet "The Harrisburg Pennsylvanian" am 24. Juli 1824 die Geschichte der Demoskopie. Die Abstimmung werde "ohne Benachteiligung der Kandidaten" und "ohne Bearbeitung der Ergebnisse" erfolgen, versichert die Zeitung den 3.000 Einwohnern des Städtchens Harrisburg.
Umfrage-Premiere misslungen
Immerhin 532 Leser antworten auf die erste politische Meinungsumfrage. Rund 60 Prozent sehen den Demokraten Andrew Jackson als Gewinner – und liegen damit knapp daneben. Zwar erringt Jackson ein halbes Jahr später tatsächlich die Mehrheit der Direkt- und Wahlmännerstimmen, doch er verpasst die absolute Mehrheit. Deshalb wählt das US-Repräsentantenhaus den Präsidenten und entscheidet sich für John Quincy Adams. Nach vier glücklosen Jahren ist dessen Amtszeit beendet und Andrew Jackson erobert doch noch als siebter Präsident das Weiße Haus.
WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn, den Deutschen seit Jahren als Prognose-Experte bei Bundes- und Landtagswahlen bekannt, hat eine einfache Erklärung für die misslungene Demoskopiepremiere: "Jede Umfrage, bei der jemand selbst entscheiden kann, ob er mitmacht oder nicht, ist niemals repräsentativ", weiß der "Graf Zahl" des ARD-Wahlstudios. Deshalb seien auch die Resultate der beliebten Votings mit Vorsicht zu genießen: "Da meldet sich nur der Kreis, der gerade Lust hat zu antworten, und das muss nicht repräsentativ für die Bevölkerung sein." Erst 100 Jahre nach dem Flop des "Harrisburg Pennsylvanian" erkennt der amerikanische Marktforscher George Gallup dieses für die Seriosität einer Umfrage entscheidende Kriterium.
Gallups "repräsentative Stichprobe"
Vor der Präsidentenwahl 1936 prognostiziert das von Gallup gegründete "American Institute of Public Opinion" einen Sieg von Franklin D. Roosevelt. Das Magazin "Literary Digest" sagt dagegen auf der Grundlage von immerhin zwei Millionen Leserstimmen eine Niederlage voraus. Richtig liegt aber Gallup, obwohl sein Institut lediglich 2.000 Menschen befragt hat. Sie wurden konsequent nach Erkenntnissen der Wahrscheinlichkeitstheorie ausgewählt und spiegeln exakt die Bevölkerungsstruktur der USA wider.
Nach diesem Erfolg wird Gallups Methode der "repräsentativen Stichprobe" weltweit bekannt und weiterentwickelt. Auch von einer jungen Deutschen, die Ende der 1930er Jahre als Stipendiatin bei Gallup in die Lehre geht. 1947 gründet Elisabeth Noelle-Neumann gemeinsam mit ihrem Ehemann am Bodensee das Institut für Demoskopie Allensbach – die Keimzelle der wissenschaftlich betriebenen Meinungsforschung in der Bundesrepublik. Einer der ersten Kunden der bald als "Pythia vom Bodensee" bekannten Noelle-Neumann ist Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Stand: 24.07.2014
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