Vierzehn Jahre schon wütet der große europäische Religionskrieg, und ein Ende ist nicht in Sicht. Als Dreißigjähriger Krieg wird er in die Geschichte eingehen. Am 16. November 1632 fällt der Heerführer der Protestanten, Schwedens König Gustav II. Adolf, in der Schlacht bei Lützen. Sofort nach Bekanntwerden seines Todes wählt der schwedische Reichsrat Christina, die erst fünfjährige Tochter des "Löwen des Nordens", zur Thronfolgerin.
Nicht nur Historikern, sondern schon ihren Zeitgenossen gibt Christinas exzentrische, ganz und gar unfeminine Persönlichkeit Rätsel auf. Die junge Monarchin zeichnet sich durch umfassende Bildung, Kunstsinnigkeit und politisches Geschick aus. Aber Christinas - für eine Frau des 17. Jahrhunderts - höchst bizarre Lebensführung sorgt auch für Skandale in ganz Europa.
Verachtung für das eigene Geschlecht
Nach ihrer Geburt am 17. Dezember 1626 hält man Christina zunächst für einen Jungen. Offenbar ist ihr Geschlecht nicht eindeutig, was bis heute Gerüchte über eine mögliche Intersexualität schürt. 1644, mit 18 Jahren, übernimmt die auf Wunsch ihres Vaters männlich erzogene Christina die Regentschaft. "Die zukünftige Königin hat Herz, Verstand und berechtigt zu den schönsten Hoffnungen", meldet ihr Erzieher, Kanzler Axel Oxenstierna, dem Reichsrat. "Ich war jähzornig und hitzig, stolz und ungeduldig, verachtend und spöttisch", beschreibt sich Christina später selbst. "Ich verachtete alles, was zu meinem Geschlecht gehörte, Sittlichkeit und Schicklichkeit."
Reiten, jagen und fechten bedeuten ihr wesentlich mehr als Etikette und Kleidung. Auf dem Thron jedoch erweist sich Gustav Adolfs Tochter als energische Herrscherin und pragmatische Politikerin. Christina ist maßgeblich an der Beendigung des Dreißigjährigen Kriegs beteiligt und profitiert erheblich von dem 1648 in Münster und Osnabrück geschlossenen Frieden. Beflügelt durch ihre freigeistige Lebensart erlebt Stockholm eine kulturelle Blüte und wird zum Anziehungspunkt für bedeutende Künstler und Gelehrte. Selbst den größten Philosophen seiner Zeit, René Descartes kann Christina an ihren Hof locken.
Thronflüchtige Konvertitin
Die Königin wehrt sich aber vehement dagegen, zum Fortbestand der Dynastie eine Ehe einzugehen. 1654, nach zehn Jahren Regentschaft fällt Christina eine für ihr Volk unerhörte Entscheidung. Sie dankt ab und überlässt die Krone ihrem Vetter Karl-Gustav. Doch für die Schweden kommt es noch schlimmer. Eben noch Herrscherin über die größte protestantische Nation ihrer Zeit, konvertiert Christina zum katholischen Glauben und lässt sich 1655 in Rom nieder. Auf ihre Krone verzichtet sie, nicht aber auf ihren Titel und ihre Einkünfte. So kostet die freiheitshungrige Königin Schweden jährlich 200.000 Reichstaler, was den Hass ihres verschmähten Volkes noch steigert.
Als verschwenderische Kunstmäzenin wie als Vermittlerin zwischen den Religionen erwirbt sich die stets männlich gekleidete Christina großes Ansehen. Noch höher ist die Meinung, die sie über sich selbst hat. In ihren späten Jahren drückt sie nur eine Sorge: "Dass ich sterbe, bevor es mir gelungen ist, mich durch Verdienste und Tugend über alle Sterblichen zu erheben." Königin Christina wird 62 Jahre alt. Bei ihrem Tod am 19. April 1689 hinterlässt sie einen immensen Schuldenberg. Papst Innozenz X. lässt die außergewöhnlichste Königin des 17. Jahrhunderts im Petersdom bestatten.
Stand: 19.04.2014
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