"Das Waschen der Wäsche, des Körpers und die Reinhaltung der Wohnung waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Riesenproblem", sagt Professor Heinz Schott, Leiter des Medizinhistorischen Instituts an der Universität Bonn. "Wasser gab es genug, nur verfügten die Städte über keine entsprechenden Wasserleitungen und wenige Wasserwerke."
Mitte des 19. Jahrhunderts stinken also viele Menschen im Land – weil sie ihren Köprper nicht pflegen. Die großen Städte wachsen an, und die Arbeiter in den Elendsvierteln wissen wenig über Hygiene. "Krankheiten und Seuchen waren stark verbreitet", erklärt Schott. Cholera und Typhus breiten sich aus, mehr als Hunderttausend Menschen sterben jährlich an Tuberkulose.
Eigenhändig kutschiert er ein Vier-Schimmel-Gespann
In dieser Lage meldet sich der Hautarzt Oscar Lassar aus Berlin zu Wort. "Jedes Bestreben zur Hebung unserer Bäderarmuth, muss mit Freude begrüßt werden. Das Postulat lautet: Jedem Deutschen wöchentlich ein Bad", schreibt er. Heute ist Oscar Lassar wenig bekannt, damals jedoch ein international anerkannter Dermatologe und Persönlichkeit der Berliner Gesellschaft.
Schon als Medizinstudent fällt Lassar, geboren 11. Januar 1849 in Hamburg, auf. Eigenhändig kutschiert er ein Vier-Schimmel-Gespann, sitzt selbst auf dem Bock, mit Cut, grauem Zylinder, grauen Handschuhen und trägt im Knopfloch eine Nelke. Als aktiver Reiter nimmt er an Pferderennen teil. Nebenbei lernt er fleißig, wird 1872 in Würzburg promoviert und eröffnet einige Jahre später eine Privatklinik für Dermatologie in Berlin.
"Unsere Arbeiter baden nicht"
Oscar Lassar hat das Problem der Zeit erkannt: "Unsere Arbeiter baden nicht." Und der Bonner Medizinhistoriker Heinz Schott bestätigt: "In der Tat hatten die Menschen kein fließendes Wasser in den Wohnungen. Wie sollten sie auch baden?"
Diese Frage stellt sich auch Oscar Lassar. 45.000 Warmwasserbadeanstalten bräuchte es in Deutschland, damit alle Arbeiter regelmäßig baden könnten - doch es gibt gerade einmal eintausend. Die Stadt Dortmund mit seinen 183.653 Einwohnern verfügt damals zum Beispiel über zwei Warmwasserbadeanstalten, in Höxter sind sie nur in Krankenhäusern verfügbar und in Coesfeld gibt es gar keine. Die vorhandenen Bäder sind zudem oft schäbig oder zu teuer für Arbeiter.
In Berlin stellt er sein Volksbrausebad vor
Lassar bleibt realistisch: "Zunächst wird nur das denkbar Einfachste zu erreichen sein. Als solches muss das lauwarme Brausebad gelten. In ihm hat man die Badeform der Zukunft zu erblicken", schreibt er. Und weiter: "Die Reinigung ist eine absolut gründliche und wird dadurch wesentlich gefördert, dass alles mit dem anhaftenden Staub und Schmutz vermengte Wasser sogleich abgeschwemmt und fortlaufend durch reines ersetzt wird. Im Vollbad aber badet man doch schließlich … in schmutzigem Wasser."
Bereits auf der Berliner Hygieneausstellung stellt er 1883 sein Volksbrausebad vor: ein Wellblechhäuschen mit insgesamt zehn Duschzellen. Hier kann jeder während der Ausstellung für zehn Pfennig ein lauwarmes Brausebad nehmen, inklusive Seife und Handtuch. Innerhalb von drei Monaten nutzten rund 7.000 Menschen das Angebot.
Ende des 19. Jahrhunderts wird Hygiene endlich wichtiger. Überall entstehen Initiativen, gründen sich Vereine, werden erste Volksbäder gebaut, die obwohl karg, reichlich frequentiert werden und gar Gewinne abwerfen. 1899 werden die Kräfte in der "Deutschen Gesellschaft für Volksbäder" gebündelt. Oscar Lassar wird ihr erster Vorsitzender. Um 1900 gibt es schon 3.000 Volksbäder.
Stand: 11.01.2014
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Freitag gegen 17.40 Uhr und am Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 11. Januar 2014 ebenfalls an Oskar Lassar. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.