Das Tempelhofer Feld ist im 19. Jahrhundert noch Exerzierplatz des Militärs. Und die Berliner spazieren mit ihren Picknickkörben über die Wiesen. Wie besessen sind viele Schüler und Studenten von einem gerade in England berühmten Spiel: Fußball ist am Ende des 19. Jahrhunderts der Modesport auf dem Feld. Flugschauen zeigen noch etwas Anderes: Das stadtnahe Gelände ist ideal zum Starten und Landen von Flugzeugen. Auch die Brüder Wright sind mit ihren Maschinen schon aufgetreten. In den 1920er-Jahren soll auf dem Gelände jedoch die Berliner Messe entstehen. Doch der zuständige Stadtbaurat Leonhard Adler organisiert Werbeflüge für die Stadtverordneten und Beamten der Reichsbehörden, um sie von dem stadtnahen Flughafen zu überzeugen. Er hat Erfolg – obwohl ein Flugzeug bei einem dieser Rundflüge abstürzt und zwei Mitglieder des Magistrats ums Leben kommen.
Ein Flug nach München und einer nach Danzig
Am 8. Oktober 1923 wird der Zentralflughafen eröffnet. "Man muss sich das relativ bescheiden vorstellen. Es gab ein ganz kleines Stationsgebäude und zwei Flugzeughallen. 10.30 Uhr hoben zwei Flugzeuge gleichzeitig ab, eines nach München und eines nach Danzig", sagt Astrid Venn, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Technikmuseum Berlin. Befestigte Rollbahnen gibt es noch nicht. In den ersten Maschinen sitzen zwischen drei und acht Passagieren, umgeben von Blechhüllen mit Schiebefenstern oder komplett offenen Fenstern. Auch die Sicherheitshinweise wirken skurril: "Bitte keine Gegenstände über Bord werfen. Aus einigen hundert Metern Höhe erhalten sie die Geschwindigkeit einer Gewehrkugel. Hochflieger sollten vor dem Start Wasser abschlagen und keine Speisen wie Erbsen, Bohnen oder Schwarzbrot zu sich nehmen, die zu übermäßiger Gasbildung führen können."
Kein Flugbetrieb in den Wintermonaten
Bis Ende des Jahres 1923 starten 150 Passagiere. "Es wurde nur bei guter Sicht geflogen und nicht während der Wintermonate", erklärt Venn. Weil der Flugplatz im Oktober öffnete, wurde der Flugbetrieb also relativ schnell wieder eingestellt. In der Zwischenzeit werden die Hallen ausgebaut und zwischen 1926 und 1929 entsteht ein größerer Flughafen mit Start- und Landebahnen. 1930 ist Tempelhof der größte Flughafen Europas.
Erst unter den Nationalsozialisten und dem Architekten Ernst Sagebiel entsteht auf dem Tempelhofer Feld das größte Gebäude der Welt. 9.000 Räume ergeben einen zusammenhängenden, geschwungenen Bau, geformt wie ein Kleiderbügel, mehr als einen Kilometer lang. In seiner Rede zum Richtfest sagt der NS-Reichsminister der Luftfahrt, Hermann Göring: "Ein Volk, das solche Bauwerke erstellt, ist unüberwindlich, hat seine Zeichen für die Jahrhunderte geschrieben."
Seit fünf Jahren ist das Tempelhofer Feld wieder Spielwiese
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Berlin zerstört und 1948/49 blockieren die Sowjets sämtliche Zufahrtswege nach West-Berlin. Die Luftbrücke sichert die Versorgung der Stadt – die Rosinenbomber starten und landen auch in Tempelhof, zu Spitzenzeiten alle 90 Sekunden. Auch danach donnern mehr als 200 Flugzeuge jeden Tag über die Dächer der Stadtteile Neukölln und Tempelhof – bis 1974 Tegel in Betrieb genommen wird.
Seit fünf Jahren ist das Tempelhofer Feld wieder Spielwiese der Berliner, wie vor 1923. Ein Kreis hat sich geschlossen, meint Astrid Venn, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner Technikmuseum. "Die Stimmung war so ähnlich wie heute: Man machte ein Picknick, ging mit den Kindern Drachen steigen und guckte sich Leute an. Es war ein klassisches Naherholungsgebiet." Der Berliner Senat möchte die Ränder des Tempelhofer Felds jedoch bebauen – eine Bürgerinitiative wehrt sich dagegen und drängt auf einen Volksentscheid.
Stand: 08.10.2013
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