Stichtag

2. Oktober 1983 - Muhammad Yunus gründet Bank für Mikrokredite

Stand: 02.10.2013, 00:00 Uhr

Die Geschichte beginnt mit Bambushockern. Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus ist 1976 mit Studenten auf Exkursion in der Nähe von Chittagong (Bangaldesch). Eine Korbflechterin erzählt dem bangladeschischem Ökonom, wie sie sich Geld bei einem Kreditgeber leihen musste, um Bambus zu kaufen - zu Wucherzinsen von zehn Prozent in der Woche. Keine Bank habe mit ihr, die weder lesen noch schreiben könne, Geschäfte machen wollen. Der Gewinn aus dem Verkauf der Korbstühle sei praktisch von den Zinsen wieder aufgefressen worden.

Arme brauchen keine Almosen, sondern Kredite

"Ich habe eine Liste mit Menschen gemacht, die alle von diesem Kredithai Geld geliehen haben. Am Ende waren es 42. Und es ging um gerade einmal 27 Dollar. Ich war schockiert", sagt Yunus. Er glaubt, das Problem einfach lösen zu können: "Ich gebe ihnen die 27 Dollar und sie geben sie dem Kredithai und sind frei. Und genau das tat ich auch."

Aus der Idee wird ein Geschäftsmodell: Weil die örtlichen Banken den Armen kein Geld leihen wollen, gründet Yunus 1983 seine eigene Bank für Arme, die Grameen Bank. Übersetzt bedeutet das "Dorf-Bank". "Yunus' Konzept war: Menschen, die sehr wenig haben, können durch Kredite kleinste Unternehmungen wie eine Tierzucht oder Handarbeiten schaffen und ihr Einkommen steigern", sagt Philipp Mader, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. In Bangladesh wird Yunus seitdem als Banker der Armen verehrt. Sein Credo: Arme brauchen keine Almosen, sondern Kredite. 2006 erhält Yunus für seine Arbeit den Friedensnobelpreis.

"Frauen halten das Geld zusammen"

Die Grameen Bank verleiht ihr Geld vor allem an Frauen. Im konservativen Bangladesh sind Geldgeschäfte bis dahin Männersache. "Frauen halten jedoch das Geld zusammen und schaffen auf lange Sicht gesehen ein besseres Leben für die Familie", erklärt Muhammad Yunus.

Was mit 27 Dollar in der Nähe von Chittagong als Experiment begann, hat längst viele Nachahmer gefunden. Weltweit soll es inzwischen mehr als 3.000 Mikrofinanzinstitute geben. Experten wie Philipp Mader rechnen mit knapp 200 Millionen Kunden. "Wenn man eine durchschnittliche Familiengröße von fünf Menschen annimmt, was in Entwicklungsländern oft der Fall ist, dann sind inzwischen knapp eine Milliarde Menschen von Mikrokrediten betroffen", erklärt Mader. Einige Wissenschaftler halten die Mikrofinanzwesen für das größte Armutsinterventionsprogramm der Welt.

Yunus wird gegen seinen Willen in Rente geschickt

Andrea Rahaman von der Entwicklungshilfeorganisation Mati in Bangladesh gibt jedoch zu bedenken: "Wenn ich in Bangladesh auf den Dörfern unterwegs bin, treffe ich fast keine Frau, die keinen Mikrokredit hat. Man trifft fast keine Familie, die nicht überschuldet ist." Auch Philipp Mader aus Köln betont, es gebe bis heute keine stichhaltigen Beweise für eine Armutslinderung durch Mikrofinanzen. "Es gibt Berichte von Menschen, die fast sprichwörtlich vom Tellerwäscher zum Millionär geworden sind – aber das sind Einzelfälle", sagt Mader.

Inzwischen ist Muhammad Yunus nicht mehr Direktor der Grameen Bank. Gegen seinen Willen wurde er 2011 von der Regierung mit 71 Jahren in Rente geschickt. Eine deutsche Tageszeitung titelte damals: "Der Heilige ist gefeuert."

Stand: 02.10.2013

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