Zum Glück lag die Wohnung seiner Eltern direkt neben einem Sportplatz. "Sonst hätte es mich als Weltrekordler und Olympiasieger nie gegeben", erzählt der heute 76-jährige Armin Hary. Dank der Sportanlage von nebenan entdeckt der 1937 im saarländischen Quierschied geborene Bergmannssohn früh sein außerordentliches Talent als Leichtathlet.
Nach ersten Erfolgen als Zehnkämpfer wechselt Hary mit 20 Jahren Verein und Disziplin. Als Sprinter wird er 1957 bei Bayer 04 Leverkusen gleich deutscher Vizemeister über 100 Meter, hinter dem Kölner Weltklassemann Manfred Germar. Bei den anschließenden Europameisterschaften schlägt er Germar und holt sowohl über 100 Meter als auch mit der Sprint-Staffel den EM-Titel. Weil Hary am Siegesabend 30 Minuten zu spät ins Quartier kommt, soll er zur Strafe sofort die Heimreise antreten.
Hindernisrennen zum Weltrekord
Den Oberen des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) ist der selbstbewusste, eigensinnige Newcomer ein Dorn im Auge. Statt das Jahrhunderttalent zu fördern, gängeln die Funktionäre Hary ständig wegen "Unbotmäßigkeiten". Am 6. September 1958 ereignet sich bei einem Provinzsportfest in Friedrichshafen Unglaubliches: Armin Hary läuft als erster Sprinter der Erde die 100 Meter in 10,0 Sekunden. Doch die Funktionäre erkennen den Weltrekord nicht an. Sie lassen die Laufbahn vermessen und stellen fest: Ein Zentimeter zuviel Gefälle.
Vor weiteren Querelen weicht der abgekanzelte Sprintstar mit einem US-Stipendium nach Los Angeles aus. Ein Jahr später kehrt Hary zurück, wird überlegen deutscher Meister über 100 und 200 Meter, und schreibt im Juni 1960 endgültig Sportgeschichte. Beim großen Leichtathletik-Meeting in Zürich läuft Hary erneut die Fabelzeit. Doch das Rennen wird wegen angeblichen Frühstarts annulliert. Der Deutsche besteht auf einer Wiederholung, startet nur 35 Minuten später ein zweites Mal und ist wieder nach 10,0 Sekunden im Ziel. Nun wird die Zeit anerkannt und Armin Hary fährt als Weltrekordhalter zu den Olympischen Spielen.
Mit Wut im Bauch zu Gold
Nach dem Einmarsch ins Olympiastadion in Rom finden die Funktionäre weitere Gründe, Hary zu maßregeln. Er habe seinen Hut unschicklich zu weit im Genick getragen, klagen die DLV-Anzugträger öffentlich. Später bekennt der Sprinter, mit welchen Gefühlen er zum olympischen 100-m-Lauf antrat: "Rom waren meine Spiele. Ich wollte mich rächen für alles, was sie mir angetan haben." Das Finale entwickelt sich zum Nervenkrieg. Nach insgesamt drei Fehlstarts gewinnt Armin Hary als erster Europäer seit 32 Jahren die Goldmedaille. Auch die 4 x 100-m-Staffel holt dank seines Laufs Gold, nachdem der Sieger USA wegen eines Wechselfehlers disqualifiziert wurde.
Mit 23 Jahren steht Hary auf dem Gipfel - und vor dem Ende seiner Karriere. Während er eine Ende 1960 erlittene Knieverletzung auskuriert, wird er wegen "Schädigung des Ansehens der deutschen Leichtathletik" für sechs Monate gesperrt. In einem Interview hatte der Doppel-Olympiasieger zu sagen gewagt: "Die Sportler sind nicht für die Funktionäre da, sondern die Funktionäre sind für die Sportler da." Erschwerend wirft man Hary eine Differenz von 70 Mark in seiner Spesenabrechnung vor. Am 1. Mai 1961 erklärt der beste Sprinter der deutschen Sportgeschichte entnervt seinen Rücktritt. Armin Hary wird Immobilienhändler und gründet die sehr aktive Stiftung "aha-f" zur sportlichen Förderung sozial benachteiligter Kinder. Kein weißer Sprinter nach ihm wird je wieder Weltrekordler über 100 Meter.
Stand: 06.09.2013
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Freitag gegen 17.40 Uhr und am Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.
-
-
- Tod des US-Leichtathleten Jesse Owens | mehr
-
- Hammerwerfer Uwe Beyer wird geboren | mehr
- Leichtathletin Gretel Bergmann geboren | mehr
-
- "Laufwunder" Paavo Nurmi wird geboren | mehr