Für Hippies aus Europa und Amerika ist Afghanistan Ende der 1960er Jahre das Traum-Etappenziel auf ihrem Selbstfindungstrip Richtung Südostasien. Angezogen von exotischer Landschaft, einem gastfreundlichen Volk und billigen, in jeder Menge erhältlichen Drogen, strömen die Blumenkinder zu Zehntausenden in die weltoffene Hauptstadt Kabul. Außerhalb der modernen Metropole am Hindukusch jedoch leben die Menschen noch wie im tiefsten Mittelalter.
Nur jeder zehnte Bewohner des bettelarmen, von unwegsamen Bergregionen zerklüfteten Landes kann lesen und schreiben. Über Strom und fließendes Wasser verfügen die wenigsten Afghanen, Schulen und Ärzte gibt es kaum. Als 1973 nach dreijähriger Dürre eine verheerende Hungersnot ausbricht, stürzen junge Offiziere unter Führung des früheren Premierministers Daoud Khan die seit 40 Jahren herrschende konstitutionelle Monarchie von König Mohammed Zahir Schah.
Stammesland statt Nationalstaat
Während sich der entthronte Monarch zur Kur in Italien aufhält, ruft sein Vetter Daoud Khan am 17. Juli 1973 die Republik Afghanistan aus: "Für das zukünftige Glück unserer Heimat …habe ich keinen anderen Weg als die feste Einrichtung einer wahren und sinnvollen Demokratie." Sich selbst setzt Daoud Khan in Personalunion als Staatsoberhaupt, Regierungschef, Verteidigungs- und Außenminister ein. Seit den 50er Jahren unterhält er exzellente Beziehungen zur Sowjetunion, von deren Unterstützung Afghanistan wirtschaftlich und militärisch völlig abhängig ist.
Daoud Khan bewahrt den Frieden in Afghanistan, doch an den überkommenen, feudalen Machtstrukturen ändert sich nichts. Wie schon unter König Zahir Schah bleibt die Republik Afghanistan ein äußerst fragiles Gebilde aus über 30 Völkern und Ethnien. Die Fürsten der größten Stämme – Paschtunen, Tadschiken, Usbeken und Hazaras – betrachten Staat und Wirtschaft lediglich als unerschöpfliches Reservoir zur Bereicherung. Auch der Islam, zu dem sich nahezu alle 27 Millionen Afghanen bekennen, trägt mit seinen zahlreichen divergierenden Glaubensströmungen nicht dazu bei, eine nationale demokratische Identität zu fördern.
Putsch gegen Daoud Khan
Mit seinen Demokratie-Versprechungen weckt Daoud Khan im Westen Hoffnungen, Afghanistan aus dem Vasallen-Bündnis mit der Sowjetunion herausbrechen zu können. Gefördert werden diese Hoffnungen, als Daoud Khan 1975 beginnt, moskaufreundliche Mitglieder seines Regimes abzudrängen und Afghanistan stärker als blockfreies Land nach dem Vorbild Indiens und Ägyptens zu positionieren. Als sich Gerüchte verbreiten, der Regierungschef wolle Kader der linken Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) liquidieren, kommt es im April 1978 zu einem blutigen Militärputsch, bei dem Daoud Khan ermordet wird.
Damit endet abrupt die bis heute letzte friedliche Epoche Afghanistans. Fluchtartig verlassen fast alle westlichen Ausländer das Land. Die neuen sozialistischen Machthaber, in der UdSSR ausgebildete Offiziere, proklamieren die "Demokratische Republik Afghanistan". Doch mit brachial durchgeführten Reformen und blutigen innerparteilichen Flügelkämpfen verspielen sie schnell allen Kredit bei den Afghanen. Als islamische Freiheitskämpfer, die Mudschahidin, in den bewaffneten Kampf gegen die moskauhörige Regierung ziehen, marschiert die Sowjet-Armee im Dezember 1979 in Afghanistan ein und stürzt das Land endgültig ins Chaos.
Stand: 17.07.2013
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