Endlich findet der Musikproduzent Kurt Feltz im April 1949 einen Sänger, der die drei Elemente in ein Lied bringt, die ein Nachkriegshit braucht: Lebensfreude, Exotik und einen Schuss Schmalz. Gerhard Tschierschnitz heißt der Sänger, der unter dem Namen René Carol eine der erfolgreichsten Sängerkarrieren der 1950er- und 60er-Jahren beginnt.
Carol singt für die Deutschen von Italien
Mit dem Schlager "Maria aus Bahia" wird er bekannt, für "Rote Rosen, Rote Lippen, Roter Wein" erhält Carol 1953 sogar die erste Goldene Schallplatte der Nachkriegszeit und schafft es auf die Titelseite des "Spiegel". Die Italien-Schnulze und auch das Maria-Lied stammen aus der Feder von Kurt Feltz, ebenso wie vermutlich Tschierschnitz' Künstlername.
Der Sänger selbst, ein gelernter Mechaniker, erzählt eine andere, romantische Version. Nach seiner Flucht aus französischer Kriegsgefangenschaft habe er sich in Paris den falschen Pass eines Ungarn besorgt und dann zunächst als Maler sein Geld verdient: "Ich habe sehr, sehr naturalistisch gemalt - und die Bilder gingen weg wie warme Semmeln. Das war natürlich ein Geschäft, aber ich habe lieber gesungen."
Blaues Meer, weißer Sand, schlanke Boote, braune Mädchen – mit Liedern wie "Im Hafen von Adano" (1951), "Bella, Bella Donna" (1953) und "Das Schiff deiner Sehnsucht" (1960) singt Carol von Italien. Der Sänger wird umso populärer, je mehr Urlauber sich während der Wirtschaftswunderzeit ins Land ihrer Träume aufmachen. "Wenn mich jemand fragt, was ich mit meinen Liedern eigentlich will, sage ich stets: den Leuten geben, was sie gern hören wollen. Mehr nicht", sagte er öfters.
Der Schnulzenprinz verdient Millionen D-Mark und gibt seiner Schwäche für Frauen, Alkohol und schnellen Autos zu oft nach. Immer wieder steht er vor Gericht, wegen fahrlässiger Körperverletzung, Unfallflucht, Trunkenheit am Steuer. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere muss Carol sogar für eine Weile ins Gefängnis. Sein letzter großer Hit gelingt ihm 1960 mit "Kein Land kann schöner sein", der es bis auf Platz drei der Hitlisten schafft.
Auftritte bei Betriebsfeiern und Schützenfesten
Mit der Beatwelle endet sein Erfolg Mitte der 1960er-Jahre. Gegen Bands wie die Beatles kommt der Schlagerkönig nicht an. Der inzwischen 40-Jährige tritt noch eine Weile vor begeisterten deutschstämmigen Amerikanern in den USA und Kanada auf. "Durch die Deutsch-Amerikaner konnte ich mein Leben weiterführen wie ein Star", sagt Carol später. Doch in den 1970er-Jahren ist auch das vorbei. Er lebt fortan mit seiner dritten Ehefrau Hannelore auf dem Land bei Minden in Nordrhein-Westfalen.
Als 1975 eine große Tournee mit Stars der 1950er-Jahre in Deutschland organisiert wird, erzählt er Journalisten im Tourbus von seinen alten Erfolgen: "Das Opernhaus in Chicago war ausverkauft, mit einem Namen: René Carol!" Sein Vermögen verjubelt, tritt er fast bis zu seinem Tod am 9. April 1978 bei Betriebsfeiern und Schützenfesten auf.
Stand: 09.04.2013
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