Blitzkarrieren haben Seltenheitswert im Machtapparat von SED-Chef Walter Ulbricht. Wer es bis in die Spitzengremien der DDR schafft, hat in aller Regel vor und während des Zweiten Weltkriegs seine Treue zum Sozialismus bewiesen. Umso erstaunlicher ist der rasante Aufstieg von Werner Lamberz. Denn als Jugendlicher gehört der 1929 in Mayen geborene Sohn eines KPD-Funktionärs zum Elite-Nachwuchs des Dritten Reichs.
Lamberz ist Absolvent eines Adolf-Hitler-Internats, erst in Sonthofen, dann in der Nazi-Ordensburg Vogelsang in der Eifel. Nach Kriegsende geht er in die Sowjetische Zone nach Brandenburg, wo sein Vater Landrat ist, und tritt der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands bei. 1967, mit nicht einmal 40 Jahren, sitzt er bereits als Sekretär für Agitation im Zentralkomitee (ZK) der SED und genießt in der verknöcherten Partei den Ruf eines Hoffnungsträgers.
Honeckers "Kronprinz" bei Gaddafi
Der intellektuell hoch begabte Lamberz besitzt Fähigkeiten, die rar sind unter Ost-Apparatschiks: Weltmännisch-selbstbewusstes Auftreten, Gewandtheit gegenüber West-Medien sowie enorme Fremdsprachenkenntnisse - angeblich spricht Lamberz mehr als zwölf Sprachen. Im Windschatten von Erich Honecker, seinem Mentor seit frühen FDJ-Zeiten, wird er Vollmitglied des Politbüros und unumstrittener Chef der DDR-Propaganda. Nach der Entmachtung Ulbrichts durch Honecker gilt Lamberz als dessen engster Vertrauter und "Kronprinz", als Generalsekretär in Warteposition.
Um internationale Anerkennung bemüht, knüpft Honecker Mitte der 70er Jahre Kontakte zur arabischen Welt, besonders zu Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi. Da der jüdische DDR-Außenminister Hermann Axen als Verhandlungspartner nicht infrage kommt, schickt Honecker seinen Gefolgsmann Lamberz als "persönlichen Botschafter" auf diplomatische Mission. "Gaddafi hat Lamberz kennen gelernt und die waren sich offensichtlich von Anfang an sympathisch", so der Berliner Publizist Jan Eik, der sich eingehend mit dem Schicksal von Werner Lamberz beschäftigt hat.
Zur Unkenntlichkeit verbrannt
Am 6. März 1978 trifft sich Honeckers Emissär in einem Wüstencamp erneut mit dem Revolutionsführer. Begleitet von vier DDR-Funktionären, einem Fotografen und sieben libyschen Politikern wird Lamberz per Hubschrauber eingeflogen. Nach dem Gespräch, so die offizielle libysche Darstellung, lehnen die DDR-Delegation und ihre Begleiter eine Übernachtung in der Wüste ab und bestehen auf dem sofortigen Rückflug in die Hauptstadt Tripolis.
Es ist 21.30 Uhr, als Werner Lamberz den Helikopter besteigt. Was dann passiert, beschreibt der libysche Untersuchungsbericht so: "Der Hubschrauber erhob sich etwa 30 Meter. Als er versuchte, zur Seite wegzufliegen, fiel er wie ein Stein zu Boden und explodierte. Alle an Bord befindlichen Personen verbrennen bis zur Unkenntlichkeit." Gaddafi lässt keine Ausländer zur Prüfung der Absturzursache ins Land. Die von ihm eingesetzte Kommission gibt allein den Piloten die Schuld an dem Unglück.
Bis heute anhaltenden Spekulationen um einen DDR-gesteuerten Anschlag auf Werner Lamberz erteilt der Publizist Eik eine klare Absage. Honecker oder Stasi-Chef Erich Mielke hätten keine Macht gehabt, "Gaddafi zu überzeugen, ein Attentat in der Nähe seines eigenen Zeltes zuzulassen, bei dem einer seiner wertvollsten Hubschrauber und mehrere seiner Mitarbeiter zu Tode kamen." Das eigentliche Ziel eines möglichen Anschlags, da ist sich Eik sicher, könnte nur Gaddafi selbst gewesen sein.
Stand: 06.03.2013
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