Von der Gründung bis zum Untergang der DDR gehört Willi Stoph zur ersten Garde der Ost-Berliner Nomenklatur. Immer bekleidet er hohe Staatsämter - und muss sich trotzdem 40 Jahre lang als blasser Befehlsempfänger mit einem Platz in der zweiten Reihe begnügen. Drei Jahre lang hat er als Vorsitzender des Staatsrates das höchste Amt der DDR inne - und bleibt doch hinter Erich Honecker ein Grüß-August ohne Einfluss auf die Richtlinien der Politik. Unzählige Reden hält Willi Stoph, die zwei wichtigsten Sätze seiner Laufbahn aber spricht er erst, als schon alles zu spät ist. Mit den Worten: "Erich, es geht nicht mehr. Du musst gehen", so die Überlieferung, wagt es der Parteisoldat im Oktober 1989 als erstes Politbüro-Mitglied, den ebenso allmächtigen wie greisen Honecker zum Rücktritt aufzufordern.
Als Siebzehnjähriger tritt der 1914 in Berlin-Schöneberg geborene Maurerlehrling in die Kommunistische Partei ein. Den Zweiten Weltkrieg erlebt Stoph als Frontsoldat und - so steht es in seiner offiziellen Biografie - im antifaschistischen Widerstand. Nach 1945 macht er in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) unter DDR-Gründer Walter Ulbricht Karriere, ebenso zügig wie unauffällig, zunächst in der Industrie- und Bauwirtschaft. Seit 1952 Vollmitglied im SED-Zentralkomitee, koordiniert Stoph den Aufbau der Sicherheitsorgane und wird im Januar 1956 erster Verteidigungsminister der DDR. Nach dem Tod des Ministerratsvorsitzenden Otto Grotewohl übernimmt er 1964 dessen Amt. Zugleich steigt er hinter Walter Ulbricht zum stellvertretenden Vorsitzenden des Staatsrates auf. Im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit steht Stoph erstmals 1970, anlässlich des historischen Besuchs von Bundeskanzler Willy Brandt in Erfurt. Nach dem Tod des als Parteichef längst entmachteten Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht erklimmt Willi Stoph die oberste Sprosse seiner Karriereleiter.
Am 3. Oktober 1973 hievt Ulbricht-Nachfolger Honecker seinen treuen Vasallen Stoph an die Spitze des Staatsrates der DDR. Nur drei Jahre später ist es mit dem höchsten Amt schon wieder vorbei. Als 1976 in der UdSSR der Parteivorsitzende Leonid Breschnew auch die Staatsführung übernimmt, lässt sich SED-Chef Honecker umgehend ebenfalls zum Staatsratsvorsitzenden wählen. Sein gehorsamer Vorgänger darf zurück auf den Posten des Ministerpräsidenten. Stoph nimmt die Degradierung hin, doch seine Nibelungentreue zu Honecker hat Risse bekommen. So ist es Stoph, der es wagt, vor dem gesamten Politbüro die überbordende Westverschuldung und permanente Missachtung ökonomischer Gesetze anzuprangern - und Honecker damit zwar zur Weißglut treibt, aber bekanntermaßen nicht zur Einsicht. Nach dem Zusammenbruch der DDR gehört Willi Stoph zu jenen sechs Spitzenpolitikern, die wegen der Todesschüsse an der Staatsgrenze vor Gericht gestellt werden. Wegen Verhandlungsunfähigkeit des 79-Jährigen wird das Verfahren aber eingestellt. Bis zu seinem Tod am 13. April 1999 lebt Willi Stoph als Pensionär zurückgezogen in Berlin.
Stand: 03.10.08