Das Unglaubliche ereignet sich am 7. Juni 1952 im Kölner Eisstadion. Vor 12.000 Zuschauern tritt Lokalmatador Peter Müller, liebevoll "de Aap" genannt, als Herausforderer gegen den deutschen Mittelgewichts-Champion Hans Stretz an. Immer wieder geht der nur 1,65 Meter kleine Müller in der für ihn typisch gebückten Haltung gegen seinen größeren Erzrivalen in den Clinch; immer wieder trennt Ringrichter Max Pippow die beiden und weist Müller zurück.
Schon zwei Monate zuvor hatte sich Müller von Pippow betrogen gefühlt, als der den Kölner im ersten Meisterschaftsfight gegen Stretz disqualifizierte. Nun, in der 8. Runde des Rückkampfs, hat "de Aap" nach zwei Verwarnungen wegen Klammerns die Faxen endgültig dicke. Mit einem gezielten rechten Haken schickt er den Ringrichter auf die Bretter. Einmal in Fahrt, drischt er dann auf den flüchtenden Stretz ein und schmeißt einen gegnerischen Betreuer kopfüber durch die Seile aus dem Ring.
Box-Unikum mit fünf Meistertiteln
"Ich han för dä Pippow jesaht: Wat trennste mich dann dauernd, do Jeck", verteidigt Müller seinen verhängnisvollen Ausraster. "Sagt der bei mir: Halten Sie ihren Mund, ihr Zigeuner! Und das Wort Zigeuner, da hab ich Rot jesehn. Ich hab gedacht, du kommst mir richtig und dann han ich ihn usjemaat." Die treuherzigen Beteuerungen helfen dem urwüchsigen Box-Idol aus dem Kölner Arbeitermilieu nicht. Noch am Abend des Skandalkampfes wird der erst 24-Jährige auf Lebenszeit gesperrt.
Nach Kriegsende hatte sich der 1927 in Köln-Sülz geborene Peter Müller für das Boxen entschieden. Gleich seinen ersten Profikampf 1947 gewinnt der bullige Rechtsausleger durch Knockout. Als er wenige Tage später in seiner Heimatstadt auch den nächsten Gegner vorzeitig k.o. schlägt, feiern die Kölner ihren "Pitter" als neuen Volkshelden. Um viele seiner Auftritte ranken sich bis heute Anekdoten. Zwischen den Schlägen soll er lachend ins Publikum gewunken und so manchen Ringrichter nach dem Urteil geküsst haben. 176 Kämpfe bestreitet Müller in seiner Karriere, 132 gewinnt er, davon 66 durch Knockout. Fünf Mal wird er deutscher Meister. Doch seinen Nachruhm als bis heute unvergessenes Box-Unikum verdankt "de Aap" allein jenem Skandal-K.o. von 1952, der ihm sogar in den USA Schlagzeilen einbringt.
Gefeierte Niederlage zum Abschied
Nur zehn Monate nach der "lebenslangen" Sperre erreicht Müllers Manager wegen eines Formfehlers dessen Begnadigung. In den folgenden Jahren macht der stets von Heimweh geplagte Kölner auch international auf sich aufmerksam. Bei zwei US-Tourneen schlägt er sich sogar beachtlich gegen die ganz Großen seiner Gewichtsklasse. Für einen WM- oder EM-Titel, etwa gegen Bubi Scholz, reicht es aber nie. Nachdem er sich 1964 noch einmal die deutsche Meisterschaft erkämpft hat, beendet Peter Müller seine Karriere im September 1966. Obwohl er den Kampf gegen Jupp Elze im Köln-Müngersdorfer Stadion verliert, bereiten ihm 20.000 Zuschauer einen bewegenden Abschied.
Als Büttenredner im Karneval oder als eher unfreiwillig komischer Schlagersänger ("Ring frei zur nächsten Runde! Ring frei, hier komm ich") genießt "de Aap" weiter große Beliebtheit. In Interviews nimmt er im typisch kölschen Dialekt nie ein Blatt vor den Mund. Der "Spiegel" bescheinigt ihm dafür "urwüchsige Infantilität" und "primitive Originalität". Privat wird Müller als ehrlicher und hilfsbereiter Freund geschätzt. Zusammen mit Ehefrau Gretchen betreibt er ein kleines Obst- und Gemüselädchen und baut einen Spielautomatenbetrieb auf. Anfang der 90er Jahre erkrankt Peter Müller an Krebs; am 22. Juni 1992 stirbt das Kölner Original mit 65 Jahren.
Stand: 22.06.2012
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