Krasser hätten sich Beginn und Ende des Pontifikats von Pius IX. nicht unterscheiden können. Die Wahl des vormaligen Kardinals Mastai-Ferretti am 16. Juni 1846 nach nur zwei Tagen Konklave wird mit überschwänglichen Ovationen gefeiert. Der erst 54 Jahre alte Nachfolger von Papst Gregor XVI., als leutseliger und liberal denkender Mensch geschätzt, weckt in ganz Italien große Hoffnungen: auf eine Reform des rückständigen Kirchenstaats, auf ein Ende der von Österreich brutal kontrollierten Kleinstaaten Italiens und die Verwirklichung des Risorgimento, der ersehnten nationalen Einheit.
Als Pius IX. nach 31 Jahren, 7 Monaten und 22 Tagen, dem längsten Pontifikat der Geschichte, am 7. Februar 1878 stirbt, ist der Kirchenstaat Vergangenheit, die nationale Einheit Realität und Pius der meistgehasste Mann Italiens. Bei der Überführung seiner Leiche in die Basilika von San Lorenzo bewerfen wütende Nationalisten den Trauerwagen mit Steinen.
Wandlung vom Reformer zum Reaktionär
Zunächst erfüllt der neue Papst die in ihn gesetzten Hoffnungen. Als Papa Rè, als weltlicher Staatschef, erklärt der Kölner Historiker Rudolf Lill, "führt Pius den reaktionären Kirchenstaat an die liberaleren, fortschrittlicheren Staaten Italiens Toskana und Piemont heran." Der Pontifex reformiert Schulen und Sozialeinrichtungen, ernennt mit Pellegrino Rossi erstmals einen Nicht-Kleriker zum Premierminister und stellt sogar eine Verfassung in Aussicht. Doch die radikalen Verfechter des Risorgimento um Giuseppe Mazzini, deren Ziel ein geeinte Nation ohne den von Frankreich gestützten Kirchenstaat ist, durchkreuzen die Pläne des Papstes und der gemäßigten Republikaner.
Kaum zwei Monate im Amt, wird Premierminister Rossi im November 1848 von linken Nationalisten ermordet. Die Mazzini-Revolutionäre rufen eine Republik aus, in der das päpstliche Rom zum Rom des Volkes werden soll. Schockiert flieht der Papst unter den Schutz des Königs von Neapel. Erst im Frühjahr 1850, nach der Niederschlagung der Republik durch die konservativen Mächte Europas, wagt sich ein zutiefst veränderter Pius IX. zurück nach Rom. Im Exil hat sich der Reformer zum Reaktionär gewandelt. Von nun an, so der Historiker Lill, "führt Pius jene Zentralisation herbei, auf der das moderne, autoritäre, monarchische Papsttum beruht." Die politische Bühne überlässt Pius fortan ganz seinem gewieften Kardinalstaatssekretär Antonelli.
Exkommunikation des Königs
Nach seinem Dogma von der Unbefleckten Empfängnis veröffentlicht Pius IX. 1864 den "Syllabus Errorum". Mit diesem Verzeichnis von 80 "Irrtümern der Moderne" erklärt er unter anderem Demokratie, Liberalismus, die Trennung von Staat und Kirche sowie Glaubens-, Presse- und Meinungsfreiheit zu ketzeríschen Irrlehren. Den Höhepunkt seiner Rolle rückwärts in den Absolutismus aber erreicht Pius 1870, als er während des Ersten Vatikanischen Konzils das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit verkündet. "La tradizione sono io" (die Tradition bin ich) schleudert er Kardinal Guidi entgegen, dem Wortführer von rund 20 Prozent der Konzilsteilnehmer, die das Dogma kategorisch ablehnen. Innerhalb der Kirche herrscht Pius IX. nun so machtvoll wie kein Papst vor ihm. Staatspolitisch aber scheitert er auf ganzer Linie.
Aus dem Kampf um Italiens Einheit war der liberal-konservative Graf Camillo Benso di Cavour als Sieger hervorgegangen, der 1861 die Ausrufung der Monarchie unter König Viktor Emmanuel vollbrachte. Ein Jahr nach dem 1870 auf unbestimmte Zeit vertagten Konzil besetzen monarchistische Truppen Rom, schaffen den Kirchenstaat endgültig ab und rufen Rom zu Italiens Hauptstadt aus. Pius IX. exkommuniziert daraufhin alle, die an der Eroberung Roms beteiligt waren – auch König Viktor Emmanuel. Völlig isoliert zieht sich der Papst hinter die Mauern des Vatikans zurück, den er bis zu seinem Tod nicht mehr verlässt. 122 Jahre später wird Pius IX. gegen scharfe Proteste von Katholiken in aller Welt durch Johannes Paul II. seliggesprochen.
Stand: 13.05.2012
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