Jahrhundertelang ist Irland ein armes Land, das von Krieg und Hunger heimgesucht wird. Die Bevölkerung verringert sich ständig. 1840 gibt es noch acht Millionen Einwohner, 1968 sind es nur noch 2,9 Millionen. Iren ziehen traditionell weg von ihrer grünen Insel. Alles soll besser werden durch den Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) - aus der später die Europäische Gemeinschaft (EG) und schließlich die Europäische Union (EU) wird.
Am 10. Mai 1972 stimmen 83 Prozent der Iren dem Beitritt zu. Auch in Großbritannien, Dänemark und Norwegen finden Volksabstimmungen statt, bei denen über das Vorgehen der jeweiligen Regierungen entschieden wird: Bereits am 22. Januar 1972 hatten Vertreter dieser Länder die Beitrittsurkunden unterzeichnet. Doch in Norwegen entscheiden sich die Bürger gegen einen Beitritt. So vergrößert sich am 1. Januar 1973 die EWG in ihrer ersten Erweiterungsrunde nur von sechs auf neun Mitglieder. 1957 hatten sich die sechs Gründungsmitglieder Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten zur EWG zusammengeschlossen und wollen nun expandieren - um weltweit eine größere Rolle zu spielen.
"Keltischer Tiger"
Die Iren wollen endlich wirtschaftlich aufholen. Irland beginnt, mit gewaltigen Fördermitteln aus Brüssel seine Infrastruktur auszubauen. Dann folgt 1987 ein sogenannter Sozialpakt, der zwischen den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften ausgehandelt wird. Sein Inhalt: nur geringe Lohnerhöhungen gegen eine Jobgarantie, mehr Geld für Bildung und Infrastruktur. Man versucht, mit einem neuen Mini-Steuersatz für ausländische Unternehmen Investoren anzulocken. Dessen Höhe beträgt zunächst zehn Prozent, mittlerweile 12,5 Prozent vom Gewinn.
Das Steuerdumping wirkt: Irland zieht Kapital an. Man spricht vom "keltischen Tiger", in Anlehnung an die aufstrebenden sogenannten Tigerstaaten in Asien. Enorme Transferleistungen aus Brüssel helfen zusätzlich, nun boomt die irische Wirtschaft. Die Auswanderung wird gestoppt. Viele ausgewanderte Iren kehren sogar zurück. Gleichzeitig wandern viele Ausländer ein. Nach den Industrieunternehmen setzt Irland auf Banken, die mit ihren Finanzgeschäften weiter für Wachstum sorgen sollen. Weil rasant steigende Immobilienpreise satte Gewinne versprechen, vergeben die Banken billige Baukredite ohne ausreichende Sicherheiten. Durch Korruption verdienen Politiker kräftig mit. Hinzu kommt eine lasche Finanzkontrolle. In der Steueroase Dublin kann fast jeder machen, was wer will.
Geplatzte Blase
2008 platzt die Spekulationsblase. Viele Deutsche haben sich verzockt in Irland. Ihren verlorenen Einsatz wollen sie dann aber zurück. Die irische Regierung zögert nach dem Crash lange. Doch am Ende muss auch sie Finanzhilfen des europäischen Rettungsschirmes annehmen - und damit auch deutsche Banken zu retten, die sich verspekuliert haben.
Fast jeder vierte Ire gilt inzwischen als arm. Die Arbeitslosigkeit ist sprunghaft angestiegen. Nun ziehen jährlich wieder rund 50.000 Iren von der Insel weg. Irland, das zeigt die Auswanderungsstatistik, geht es offensichtlich nicht mehr so gut.
Stand: 10.05.2012
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