Nach dem Zweiten Weltkrieg erhält Deutschland 1955 von den Alliierten seine volle Souveränität zurück - und darf nun auch zivile Atomforschung betreiben. "Zur Energieversorgung brauchte die Bundesrepublik damals die Kernkraft nicht", sagt Joachim Radkau, Historiker an der Universität Bielefeld. Sie habe aber politischen Symbolwert gehabt: "Es war ein Feld, wo man die neue Souveränität demonstrieren konnte." Beim größten Energieerzeuger der Bundesrepublik, den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken (RWE), wird allerdings auch weiterhin auf die heimische Kohle gesetzt.
"Erfahrungen sammeln"
Nur ein junger Diplom-Ingenieur des Unternehmens glaubt an die atomare Strom-Produktion. Er heißt Heinrich Mandel. Obwohl der RWE-Vorstand dem Vorhaben damals skeptisch gegenüber steht, belässt er Mandel "seine nukleare Spielwiese", wie es Professor Radkau ausdrückt. Daraufhin bestellt der Reaktortechniker, der später selbst RWE-Vorstand wird, bei der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft (AEG) einen Siedewasser-Reaktor. Ziel sei es, so Mandel, damit "Erfahrungen bezüglich Planung, Bau, Betrieb, Anlagekosten und Betriebskosten von Atomkraftwerken zu sammeln."
Innerhalb kurzer Zeit wird am Untermain in der Nähe von Aschaffenburg das Versuchskraftwerk Kahl gebaut. Im November 1960 kommt die Kettenreaktion in Gang. Eine Betriebsgenehmigung wird jedoch erst im Nachhinein eingeholt. Ans Netz geht das erste deutsche Atomkraftwerk am 17. Juni 1961. Es liefert lediglich 15 Megawatt Strom - so viel wie heute drei große Windkraftanlagen produzieren.
Häufig kleinere Unfälle
Auf dem Werksgelände grast anfangs eine Schafherde, deren Milch auf Radioaktivität untersucht wird. Der Großraum Frankfurt am Main ist nur gut 20 Kilometer entfernt und wäre bei einem Super-GAU unmittelbar betroffen. Doch Proteste gibt es keine. Kernkraft gilt damals als sicher. Sie sei kontrollierbar, sagt "Bundesminister für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft" Siegfried Balke (CSU) bereits 1957: "Alle Schutzmaßnahmen, die notwendig sind, können beim heutigen Stand der Technik auch getroffen werden."
Tatsächlich ist Kahl aber störanfällig. Es kommt häufiger zu kleineren Unfällen, bei denen Radioaktivität austritt. Immer wieder muss die Anlage abgeschaltet werden. Doch erst im November 1985 geht das Versuchskraftwerk nach 25 Jahren planmäßig vom Netz. Nach weiteren 25 Jahren ist im Sommer 2010 auch die Demontage beendet. Der beim sogenannten Rückbau übrig gebliebene radioaktive Abfall wird zwischengelagert.
Stand: 17.06.2011
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