"Ich geh in der Früh zur Schule und da steht plötzlich ein Zirkus", erinnert sich Bernhard Paul, der im österreichischen Städtchen Wilhelmsburg aufgewachsen ist. "Das war mein erster Zirkus, den ich gesehen hab." In seiner Klasse nehmen zufällig Zirkuskinder neben ihm Platz. Sie nehmen ihn nach der Schule mit in ihren Wohnwagen. "Daneben ging ein Elefant vorbei auf der Terrasse, und dann Ponys und schöne Frauen und Männer." Der kleine Bernhard ist begeistert von den goldverzierten Uniformen. "Ich war im siebten Himmel: Das ist es, was ich will!"
Doch sein Vater bremst den Berufswunsch und verlangt: "Zuerst wirst du was Vernünftiges lernen." Deshalb beginnt Paul zunächst eine Hoch- und Tiefbau-Ausbildung, bevor er Grafikdesigner wird. Doch mit 28 Jahren hat er genug: Er kündigt 1975 seine Stelle als Art Director beim österreichischen Nachrichtenmagazin "Profil" und gründet in Wien den Circus Roncalli. Dieser soll altmodisch sein. Das Konzept: Nostalgie statt Sensation, mit einem Schuss Belle Époque und Commedia dell'Arte. "Ich habe ja quasi den Zirkus wiederherstellen wollen, den es nicht mehr gab, den meiner Kindheit."
Mitbegründer André Heller steigt aus
In Graz trifft Paul den Sänger und Literaten André Heller, der ihm seine künstlerische Mitarbeit anbietet. Den Grundstock des Projekts bildet ein ausrangierter Zirkus-Wohnwagen. Die erste Aufführung findet am 18. Mai 1976 in Bonn auf der Hofgartenwiese statt. "Die größte Poesie des Universums" heißt das erste Programm. Danach gastiert der Zirkus in Wiesbaden, Köln und München. Dort verlässt Heller den Circus Roncalli nach einem Streit und verkündet: "Die Poesie ist tot."
1977 spielt der Zirkus zwar bei den Wiener Festwochen. Doch die angehäuften Schulden wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten sind zu hoch. Paul muss den Zirkus aufgeben. Im Jahr darauf siedelt er mit ein paar Restbeständen nach Köln um und fängt von vorne an. Am 4. Juni 1980 wird auf dem Kölner Neumarkt "Die Reise zum Regenbogen" uraufgeführt. Das Programm wird zum Erfolg - beteiligt daran ist der Schweizer Kabarettist Emil Steinberger. Er hat Paul Geld geliehen und ist für die Regie mitverantwortlich. Die Pantomimen "Pic und Pello" werden zu Publikumslieblingen.
Der Zirkusdirektor als Clown Zippo
Der Circus Roncalli etabliert sich: 1983 treten Fredy Knie junior und seine Frau Marie-José vom Schweizer Nationalzirkus Knie mit ihren Tierdressuren auf, im Jahr darauf singt Schauspieler Heinz Rühmann das "Lied vom Clown". 1986 gastiert Roncalli als erster westdeutscher Zirkus in Moskau. Paul selbst tritt immer wieder als Clown Zippo auf. "Clowns sind die schwierigsten Menschen auf dem Planeten", sagt der Zirkusdirektor rückblickend. "Aber wer gut ist, darf auch schwierig sein."
Schwierig sind auch die geschäftlichen Bedingungen. Es gibt kaum noch Zirkusschulen und Hersteller von Wagen und Zelten. Der Markt für Zirkusse wird kleiner. Paul muss scharf kalkulieren: "Transport zum Beispiel, was das allein kostet, dieses ganze Ding von A nach B zu transportieren." Das Anstrengende passiere hinter dem roten Vorhang. "Da merkt man, was Zirkus eigentlich für ein schwieriges Unterfangen ist."
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