Stichtag

25. Dezember 2006 - Vor 105 Jahren: Erste Vorstellung des Zirkus Sarrasani

Chemie soll der Bengel studieren oder wenigstens Kaufmann werden! Mit dem Rohrstock versucht Glashüttenbesitzer Albert Stosch seinem Sohn die vorgeplante Karriere einzubläuen. Hans jedoch, am 2. April 1873 in Posen geboren, hat schon als Knabe nur Unfug im Sinn. Bei Nacht und Nebel nimmt der 15-jährige, hoch aufgeschossene Junge Reißaus und schließt sich einem Wanderzirkus an. Weihnachten 1890 steht er als Clown Sarrasani erstmals in der Manege und lässt einen dressierten Pudel Polka tanzen. Jahrelang tingelt er mit seiner Dressurnummer durch die Lande, hat Erfolg und spart jeden Pfennig Gage für das große Ziel: ein eigenes Unternehmen. Als 1897 der berühmte Zirkus Renz Pleite geht und etliche Spitzen-Artisten arbeitslos werden, ist die Gelegenheit da.Stosch-Sarrasani engagiert sein eigenes Ensemble und entwickelt in Radebeul bei Dresden ein Programm, das einschlagen soll "wie etwas noch nie Dagewesenes". Für die Generalprobe mietet er über Weihnachten 1901 das Apollo-Theater in Brandenburg, wo am 25. Dezember die erste Vorstellung des Zirkus Sarrasani über die Bühne geht. Die umjubelte Weltpremiere als größter deutscher Zeltzirkus mit 3.600 Plätzen und elektrischer Fantasiebeleuchtung findet am 30. März 1902 in Meißen statt. Das Unternehmen wächst nun unaufhaltsam, denn Stosch-Sarrasani erweist sich als glänzender Prinzipal und Werbestratege. Schon 1906 gehören über 250 Tiere, darunter zehn Elefanten, zum Programm und der Zirkus geht, eine Sensation der damaligen Zeit, per Eisenbahn auf Europa-Tournee. Sarrasanis Konzept vom Zirkus als pralle Fantasy-Show statt einfacher Nummern-Abfolge wird stilbildend. 1912 entsteht in Dresden ein prunkvoller fester Sarrasani-Zirkusbau, ausgestattet wie eine orientalische Fata Morgana aus Tausendundeiner Nacht. Die Premiere in Anwesenheit der königlichen Familie Sachsens dirigiert Stosch, der Zirkuskönig, im Kostüm eines Märchen-Maharadschas. Im Jahr darauf sind bei Sarrasani echte Sioux-Indianer aus den USA die Sensation in Europa.

Mit dem ersten Weltkrieg beginnen dann düstere Jahre für den Zirkus. Um der Not in Deutschland auszuweichen, wagt Sarrasani 1923 ein wahnwitzige Unternehmen. Der ganze Zirkus wird nach Südamerika verschifft und tourt durch Brasilien, Uruguay und Argentinien. Zurück in Europa steht nach einer Brandkatastrophe in Antwerpen erneut die Zukunft von Sarrasani auf dem Spiel. Ein zweites Mal bietet ein Südamerika-Gastspiel den Ausweg aus der Krise. Doch Hans-Stosch-Sarrasani ist am Ende seiner Kräfte. Am 21. September 1934 erliegt er in Sao Paulo einem Herzleiden. Der Zirkus aber lebt weiter, übersteht auch den Zweiten Weltkrieg und wird heute vom Urenkel des Gründers, André Sarrasani, erfolgreich geführt. 

Stand: 25.12.06