Als amtierender Europameister zählt Deutschland zu den Topfavoriten der Fußball-Weltmeisterschaft 1982 in Spanien. Doch schon während der Vorbereitung herrscht im DFB-Kader das reinste Chaos. Bundestrainer Jupp Derwall ist mit seiner taktischen Weisheit am Ende und hat die Kontrolle über seine erfolgsverwöhnten, hochbezahlten Stars verloren.
Die versüßen sich das Trainingslager am Schluchsee mit Pokern, Rauchen und reichlich Alkohol. Derwall schaut hilflos weg und erklärt den Journalisten: "Erst kommt die Ruhe, dann das Training." Die Quittung für das Dolce Vita am "Schlucksee", wie die Presse höhnt, folgt postwendend. Im ersten Vorrundenspiel der WM kassiert die Mannschaft um Kapitän Karl-Heinz Rummenigge und Torhüter Toni Schumacher gegen Außenseiter Algerien eine peinliche 1:2-Pleite.
Unvergessener Tiefpunkt: Die "Schande von Gijón"
Trotz des folgenden 4:1-Erfolgs über Chile heißt es deshalb bereits im dritten Vorrundenspiel: Sieg oder Heimreise. Weil Gegner Österreich eine knappe Niederlage zum Weiterkommen reicht, erleben die Zuschauer am 25. Juni 1982 in Gijón ein Skandalspiel, das in die WM-Historie eingeht. Nach einer frühen Führung durch Horst Hrubesch stimmt das Ergebnis und beide Seiten stellen bis zum Abpfiff jegliche Angriffsbemühungen ein, so dass der deutsche 1:0-Sieg beiden Mannschaften zum Weiterkommen reicht. "Das riecht nun wirklich nach Absprache und Schiebung", empört sich selbst ARD-Kommentator Eberhard Stanjek. "Es ist eine Schande, anders kann man das wohl nicht mehr nennen!"
Mit der "Schande von Gijón" verspielen die arrogant agierenden Deutschen alle Sympathien. Doch es soll noch schlimmer kommen. Nachdem die DFB-Elf in der Zwischenrunde mit Rumpelfußball auch England und Gastgeber Spanien aus dem Turnier geworfen hat, gewinnt sie das dramatische Halbfinale gegen Frankreich im Elfmeterschießen mit 5:4. In Erinnerung bleibt jedoch nicht ihre kämpferische Leistung, sondern ein brutales Foul von Torhüter Schumacher am einschussbereiten Stürmer Patrick Battiston in der 57. Minute.
Verhasst und ausgepumpt ins Finale
Der Franzose ist nach Schumachers Attacke minutenlang bewusstlos, verliert mehrere Zähne und erleidet eine schwere Gehirnerschütterung. Schumacher lehnt derweil gelangweilt am Torpfosten und wartet kaugummikauend darauf, dass es weitergeht. Nach dem glücklichen Sieg lässt auch Jupp Derwall wieder kein Fettnäpfchen aus und kommentiert lapidar: "Na ja gut, wer nicht mit uns rechnet, der wird bestraft." Der für deutliche Worte bekannte ZDF-Sportjournalist Harry Valérien schreibt später: "Wohl nie zuvor ist eine derart verhasste Mannschaft in ein WM-Endspiel gegangen."
Die in der Vorrunde noch sieglosen Italiener verdanken ihre Finalteilnahme vor allem Torhüter Dino Zoff und Paolo Rossi, ihrem mit fünf Toren gefährlichsten Angreifer. Konditionell in Topform treten die Azzurri am 11. Juli 1982 im Madrider Estadio Santiago Bernabéu zum Endspiel an. Der deutschen Elf dagegen steckt das kräftezehrende Spiel gegen Frankreich in den Knochen. In der ersten Halbzeit hält sie den Italienern, auch dank eines von Antonio Cabrini verschossenen Foulelfmeters, noch stand.
Ein demoralisierter Vizeweltmeister
Als Rossi aber in der 57. Minute für die ungewöhnlich offensiven Italiener trifft, hat die deutsche Elf nichts mehr entgegenzusetzen. "Wir wussten gleich, da geht nichts mehr, so platt waren wir", gesteht Mittelstürmer Klaus Fischer. Angeführt vom überragenden Regisseur Bruno Conti können die Azzurri nach Belieben kombinieren und erhöhen durch Marco Tardelli (69.) und Alessandro Altobelli (81.) uneinholbar auf 3:0. "Brauchen wir gar nicht mehr hinzugucken, ist immer Conti", schildert Reporter Rudi Michel ernüchtert das sich abzeichnende Debakel.
Das 3:1 durch Paul Breitner sieben Minuten vor dem Ende bleibt schlichte Ergebniskosmetik. Während die Italiener nach dem Schlusspfiff ihren dritten WM-Titel feiern, schleicht der deutsche Vizeweltmeister demoralisiert vom Platz. Und Bundestrainer Derwall erweist sich erneut als Meister denkwürdiger Spielanalysen: "Die Italiener haben clever aus der Abwehr gespielt. Wenn wir das auch getan hätten, dann wäre das das größte Scheißspiel geworden."
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