Im wilhelminischen Kaiserreich kann sich das gemeine Volk öffentliche Kulturangebote kaum leisten. Die Arbeiterschaft in Berlin will das ändern. Die Idee: Der 1890 gegründete Verein Freie Volksbühne soll den unteren Schichten den Zugang zum Theater zu ermöglichen.
Tausende Vereinsmitglieder sollen mit ihren freiwilligen Beiträgen, den sogenannten Arbeitergroschen, einen eigenen Theaterbau finanzieren. Die Eintrittskarten für die dort gespielten Stücke sollen sie ermäßigt kaufen können.
Die Zensur umgehen
Erbaut wird die Berliner Volksbühne am Bülowplatz. Zwischen Grundsteinlegung und Eröffnung des Hauses im Dezember 1914 liegen nur 16 Monate. Das von Architekt Oskar Kaufmann entworfene Theater verfügt über 2.000 Plätze.
Der Verein hat noch einen Vorteil: Damit ist es möglich, die Zensur zu umgehen. Die Stücke von Gerhart Hauptmann zum Beispiel, die damals auf dem Index stehen, können so im privaten Vereinskreis gezeigt werden.
Gleichschaltung durch die Nazis
Große Namen sind in dieser Zeit mit der Volksbühne verbunden, zum Beispiel Max Reinhardt als Intendant und Erwin Piscator als Oberspielleiter.
Während des Nationalsozialismus dient das Haus als "Theater am Horst-Wessel-Platz" der Propaganda. Sämtliche jüdischen Ensemblemitglieder und Regisseure werden entlassen.
Zerstörung im Zweiten Weltkrieg
Nach einem Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg wird der Spielbetrieb 1943 eingestellt. Kurz vor Kriegsende wird die Volksbühne zum Munitionslager. Eine Brandbombe der Alliierten zerstört das Gebäude völlig.
Im September 1945 verkündet die "Berliner Zeitung": "Die Volksbühne wird wiedererstehen." Ihre Ruine steht inzwischen am Liebknecht-Platz. Erster Intendant der Nachkriegs-Volksbühne wird Fritz Wisten, der per Zeitungsinserat überlebende Ensemblemitglieder für das neue Team sucht.
Wiederaufbau am alten Ort
Am 21. April 1954 wird die wiederaufgebaute, von Hans Richter geplante Volksbühne am alten Standort eröffnet. Dieser heißt mittlerweile Luxemburg-Platz.
"Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller steht auf dem Programm. Im Publikum sitzt Wilhelm Pieck, der erste Präsident der DDR. Später setzten Stücke von Heiner Müller und Inszenierungen von Benno Besson Maßstäbe.
Castorfs Spielwiese
Nach dem Fall der Mauer wird die Volksbühne - jetzt am Rosa-Luxemburg-Platz - ab 1992 für 25 Jahre die Spielwiese von Intendant Frank Castorf. Neben seinen Inszenierungen sind auch die Arbeiten von Christoph Schlingensief und Christoph Marthaler bestimmend für das avantgardistische Profil des Hauses.
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 21. April 2019 ebenfalls an die Wiedereröffnung der Berliner Volksbühne. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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