Schon lange vor Andrew Llloyd Webber feiern Musicals wie "My Fair Lady", die "West Side Story" und "Hair" in den 1950er- und 1960er-Jahren große Erfolge. Sie basieren meist auf literarischen Vorlagen – genau wie das Udo-Jürgens-Musical "Helden, Helden".
Dem liegt George Bernard Shaws ironisches Theaterstück "Arms and The Man" (1894) zugrunde, das zur Zeit des serbisch-bulgarischen Krieges spielt. 1885 stehen sich Kavallerieoffizier Sergius Saranoff für die Bulgaren und der Schweizer Söldner Bluntschli als Artilleriehauptmann für die Serben gegenüber. Doch der Schweizer hat ein Problem: In seiner Kanone steckt blinde Munition, ein Irrtum beim Nachschub. Daraufhin können Sergius und seine Reiter die Schlacht für sich entscheiden. Bluntschli flieht und landet ausgerechnet im Haus von Raina, der Verlobten Saranoffs. Er verrät ihr die wahren Hintergründe über dessen vermeintliche Heldentat. Am Ende angelt sich Bluntschli die Raina und eine hübsche Magd den Sergius – und alles löst sich in Wohlgefallen auf.
Musical mit 18 typischen Jürgens-Liedern
Jahrzehnte später findet Udo Jürgens in dem Stück den perfekten Stoff für ein Musical. "Erstens beschäftigt es sich mit einem zeitlosen Thema, nämlich dem Heldentum und dem Krieg. Zum Zweiten spielt es in Serbien und Kroatien – es gibt also die Möglichkeit, Lokalkolorit unterzubringen. Aus diesem Grund ist es für den Komponisten eine außerordentlich dankbare Aufgabe", sagt Udo Jürgens damals.
Knapp vier Jahre komponiert er an den Musical-Nummern. Strenge Vorgaben von Shaws Erben schränken Udo Jürgens Kreativität jedoch ein. Heraus kommt ein dreistündiges folkloristisches Musical mit 18 typischen Jürgens-Liedern.
Rolf Kutschera, Direktor des Wiener Theaters an der Wien und Shaw-Kenner, glaubt an den Erfolg. "Gerade die Mischung aus Musik und Shaw ist schon da gewesen – und zwar als einer der größten Musical-Erfolge: 'My Fair Lady'", sagt er. Bereits 1908 hatte George Bernard Shaws Stück Premiere am selben Ort – als Operette "Der tapfere Soldat" von Oscar Straus. Damals waren die Kritiker begeistert, aber das Publikum nicht. Das möchte Kutschera 1972 ändern.
Am 27. Oktober 1972 ist es endlich so weit: "Helden, Helden" feiert Welt-Uraufführung im Theater an der Wien. Anwesend ist allerhand österreichische Prominenz, darunter der Bundespräsident Franz Jonas.
"Helden, Helden" geht nicht in die Geschichte ein
Das Premierenpublikum ist begeistert. "Wer Bernard Shaw kennt, weiß, dass hier alle Pointen voll erhalten wurden und erstklassig mit Choreografie und Musik verbunden sind", sagt ein Zuschauer den Reportern nach der Premiere.
Udo Jürgens ist mit sich im Reinen. "Zufrieden ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Es war einfach einmalig und ein wunderbarer Erfolg", sagt er.
Doch am nächsten Tag erscheinen die Kritiken. "Leider ist von der Ironie kaum etwas, von Satire oder tieferer Bedeutung gar nichts zu merken in 'Helden, Helden'", schreibt der Musikkritiker Karl Löbl. Und ein anderer: "Eine fade musikalische Komödie. Showstar Udo Jürgens komponierte dazu 18 Songs, die man rasch wieder vergessen wird." Und noch ein anderer: "Nirgendwo ein bisschen Gift, das die Komödie würzte. Udo fütterte seine Fans mit purem Zucker."
Udo Jürgens geht mit seinem Musical nicht in die Geschichte ein. Die Show tingelt noch ein paar Jahre durch Österreich und Deutschland – und verschwindet dann in der Versenkung.
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