Mitte der 1970er Jahre haben es die Frauen in der Bundesrepublik schon weit gebracht. Wenn sie arbeiten wollen, brauchen sie keine Erlaubnis ihres Ehemannes mehr. Sie können sich bereits in den deutschen Bundestag wählen lassen. Und der DFB hat sein Verbot des Frauenfußballs schon seit Jahren aufgehoben.
Dann erscheint im Internationalen Jahr der Frau 1975 Alice Schwarzers Bestseller "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen", der die Sexualität als "Angelpunkt der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und der Unterdrückung der Frauen" bestimmt. Und zeigt auf, dass doch noch einiges im Argen liegt.
Mehr Ernsthaftigkeit, bitte!
Anders als das Internationale Jahr des Ökotourismus oder das Internationale Jahr des Frosches markiert das Internationale Jahr der Frau aber nicht nur in Deutschland einen Meilenstein in der Geschichte des Feminismus und der Emanzipation: Am 19. Juni 1975 eröffnen die UN ihre erste, sechstägige UN-Weltfrauenkonferenz.
Die Männerwelt begegnet dem Ereignis allerdings eher mit Spott und Gleichgültigkeit, wie die damalige Bundesfamilienministerin Katharina Focke (SPD), die die deutsche Delegation leitet, konstatiert. "Die Presse und alle Massenmedien bitte ich, über die Frauenfrage in einer Weise zu berichten, die angemessen ist", mahnt auch Bundespräsident Walter Scheel (FDP): "Die immer noch anzutreffende Haltung einer gewissen lächelnden Geringschätzung ist unangebracht."
Selbstbestimmung statt Genitalverstümmelung
Immerhin 1.200 Journalisten berichten über den ersten Kongress dieser Art überhaupt, an dem 6.000 Frauen aus aller Welt teilnehmen. Bald aber weicht die Euphorie einer gewissen Ernüchterung: Der Wunsch nach internationaler Solidarität zerbricht hier und da an den unterschiedlichen Gegebenheiten der Frauen in den unterschiedlichen Ländern. Interessiert man sich in Deutschland eher für das Abtreibungsverbot und freie lesbische Liebe, geht es anderen Teilnehmerinnen eher um die Überwindung von Analphabetismus, Kinderheirat oder Genitalverstümmlung. Plakativ gesagt: Die bolivianischen Minen-Arbeiterinnen sind nur schwer mit den deutschen Feministinnen unter einen Hut zu bringen.
Trotzdem gibt es greifbare Ergebnisse: eine gemeinsame Deklaration, einen Weltaktionsplan und 34 Entschließungen, die bald darauf auch von fast allen Ländern ratifiziert werden. Auch legt die Weltfrauenkonferenz den Grundstein für die "UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" (CEDAW) von 1979. Sie wird von 189 Staaten unterschrieben – auch wenn die USA sie nie ratifizieren. Nicht unterschrieben haben Somalia, Iran und der Vatikan.
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- 30. Juli 1955: Der Deutsche Fußballbund verbietet den Frauenfußball | mehr
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 19. Juni 2020 ebenfalls an die Eröffnung der ersten UN-Weltfrauenkonferenz. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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