Ein Londoner Journalist schreibt auf, was alle empfinden, die den russischen Tänzer Rudolf Nurejew je auf der Bühne gesehen haben: "Es war, als hätte man in einem Salon ein wildes Tier losgelassen."
Nurejew schockiert und begeistert. Er ist wild und schön. "Seine Erscheinung im Westen hat auf die Ballettwelt gewirkt wie ein Bombeneinschlag", sagt Ninette de Valois, eine seiner vielen Partnerinnen auf der Bühne. "Als Tänzer war er von außerordentlicher Virtuosität und gleichzeitig ein großartiger Künstler. Diese Kombination gab es bei uns nicht. Man war entweder das eine oder das andere", sagt De Valois.
Der Vater verhaut ihn, wenn er tanzt
Geboren wird Rudolf Nurejew 1938 in der Transsibirischen Eisenbahn in der Nähe von Irkutsk. Schon früh will er Tänzer werden, entgegen dem Willen seines Vaters. "Immer wenn er mich dabei erwischte, hat er mich verhauen. Aber ich habe trotzdem weiter gemacht. Meine Mutter hat mich verteidigt. Dadurch war es erträglich", erinnert sich Nurejew.
1961 gastiert er mit seiner russischen Kompanie in Paris. Während die anderen nach London weiterreisen, nutzt er die Gelegenheit, sich abzusetzen. Von Paris aus erobert er die Bühnen der Welt. Nurejew tanzt das gesamte klassische Repertoire: Dornröschen, Nussknacker, Romeo und Julia, Schwanensee. Er wertet die männlichen Rollen an der Seite elfenhafter Ballerinen entscheidend auf.
Er tanzt noch im fortgeschrittenen Stadium seiner Krankheit
Das Glück führt ihn an die Seite der 19 Jahre älteren Primaballerina Margot Fonteyn. Eine Tanzpartnerschaft entsteht, die als der Höhepunkt beider Karrieren gilt. "Er war sehr musikalisch, ein praktisches, wunderbares Geschenk für einen Künstler. Außerdem war er beängstigend intelligent. Er war ein großartiger Interpret jeder Choreografie, die ihm angeboten wurde", sagt Fonteyn. Und Nurejew ergänzt: "Wir haben uns gegenseitig beflügelt, und jeder konnte die Gedanken des anderen lesen."
Nurejew genießt den Erfolg, seine Energie scheint unerschöpflich. Bis zuletzt weigert er sich anzuerkennen, dass er Aids hat, tanzt noch im fortgeschrittenen Stadium seiner Krankheit. Wieder und wieder zitiert er einen seiner russischen Lehrer: "Wer stehen kann, kann auch tanzen." Rudolf Nurejew stirbt am 6. Januar 1993 mit 54 Jahren in Paris.
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