"Wenn es nur kein Deutscher ist", soll Ministerpräsident Jo Cals geseufzt haben, als im Mai 1965 Fotos von Kronprinzessin Beatrix und ihrem Verehrer in der Presse auftauchen. Der smarte 39-Jährige an der Seite der künftigen Königin der Niederlande entpuppt sich als der deutsche Diplomat Claus von Amsberg - ein Skandal für viele Niederländer, die im Zweiten Weltkrieg unter der Besetzung durch das nationalsozialistische Deutschland gelitten haben.
Kurz darauf stellt sich von Amsberg im Fernsehen aufrichtig und bescheiden als Verlobter der Thronfolgerin vor. Er wisse um die Gefühle des niederländischen Volkes, nach allem was in der jüngsten Vergangenheit geschehen sei: "Ich verstehe und respektiere das. Aber ich werde mein Bestes tun und versuchen, Ihr Vertrauen zu gewinnen." Das gelingt Claus von Amsberg auf überzeugende Weise: Nicht lange nach seiner Hochzeit mit Beatrix wählt das Volk den Prinzgemahl zum beliebtesten Niederländer des Jahres.
Offener Umgang mit Wehrmachts-Vergangenheit
Es ist es kein genereller Deutschenhass, der anfangs viele Niederländer gegen Beatrix‘ Verlobten aufbringt. Schließlich stammen auch ihr Vater und ihr Großvater aus Deutschland. Es ist vielmehr eine mögliche braune Vergangenheit des am 6. September 1926 geborenen Bräutigams. Claus von Amsberg, der als Kind einige Jahre in Tansania gelebt hat, macht aus seiner Mitgliedschaft in der Hitlerjugend und seiner Kriegszeit kein Geheimnis: "Ja, ich war in der Wehrmacht und wurde 1944 als Flakhelfer eingezogen." Das Kriegsende erlebt er als Fahnenjunker in Italien. Dort gerät er in amerikanische Gefangenschaft und wird von einer Entnazifizierungskommission ohne Einschränkung freigesprochen.
Nach einem Jura-Studium und einem USA-Aufenthalt bearbeitet von Amsberg in einer Hamburger Kanzlei Rechtsansprüche deutscher Juden. 1957 tritt er in den Auswärtigen Dienst ein und wird 1961 als Legationsrat an die Elfenbeinküste geschickt. Dort trifft von Amsberg den jungen, israelischen Diplomaten Avi Primor. Der spätere Botschafter Israels in Bonn ist beeindruckt von dem sympathischen Deutschen, der ohne Wenn und Aber zu seiner Vergangenheit steht. Zwischen den beiden entwickelt sich eine lebenslange Freundschaft. 1962 kehrt Claus von Amsberg in die Bundesrepublik zurück und begegnet auf einer Silvesterfeier zum ersten Mal seiner großen Liebe, der damals 24-jährigen Prinzessin Beatrix der Niederlande.
Der Prinzgemahl wird depressiv
Am 10. März 1966 fährt das Paar in Amsterdam in einer goldenen Kutsche zur Hochzeit. Über 80 Prozent der Niederländer hatten sich zuvor für die Heirat ausgesprochen. Während Beatrix und Claus in der Westerkerk getraut werden, zünden draußen junge "Provos" mitten unter den jubelnden Menschen Rauchbomben – nicht aus Protest gegen Claus, sondern gegen die Monarchie, gegen das Establishment schlechthin. Als Beatrix 1968 mit Willem Alexander nach 116 Jahren den ersten männlichen Thronfolger in Holland zur Welt bringt, verstummt endgültig jede Kritik an ihrem deutschstämmigen Ehemann. 1980, als Beatrix ihrer Mutter Juliana auf den Thron folgt, ist Prinz Claus das populärste Mitglied des Könighauses.
Charmant, unkonventionell, warmherzig und in jeder Beziehung integer engagiert sich Prinz Claus für Umweltpolitik und Entwicklungshilfe, vor allem in Afrika. Offiziell darf er jedoch keinerlei Einfluss nehmen; seine Rolle als bloße Repräsentationsfigur macht ihm mehr und mehr zu schaffen. Er erkrankt an Depressionen und macht sein Leiden öffentlich: "Alles wird anders mit dieser Krankheit: die Familie, die Umgebung. Und Du bist nicht mehr der Gleiche wie früher." Auch körperlich meint es das Schicksal nicht gut mit dem "traurigen Prinzen". Die Ärzte diagnostizieren bei ihm die Parkinson-Krankheit, Prostatakrebs und Herz-Rhythmus-Störungen. Nach langem Leiden stirbt Jonkeer van Amsberg, so sein offizieller Name, am 6. Oktober 2002 im Alter von 76 Jahren. Stellvertretend für alle Niederländer legt jemand ein Plakat auf den Rasen vor dem königlichen Palast: "Ein wunderbarer Mensch ist gestorben."
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