"Dieses scheinbar unbedeutende Tagebuch eines Kindes verrät mehr über die Abscheulichkeit des Faschismus als alle Akten der Nürnberger Prozesse zusammen", heißt es in einer der ersten Rezensionen des Tagebuchs von Anne Frank, das 1947 in den Niederlanden veröffentlicht wird. Das Buch ist mittlerweile in fast 70 Sprachen übersetzt und rund 30 Millionen Mal verkauft worden. Anne, die in Frankfurt am Main geboren wird und 1934 mit ihrer jüdischen Familie vor den Nazis nach Amsterdam flieht, bekommt das Tagebuch 1942 zu ihrem 13. Geburtstag geschenkt. Noch am selben Tag schreibt sie ein kurzes Vorwort: "Ich hoffe, dass ich dir alles anvertrauen kann, wie ich es bisher noch niemals konnte, und ich hoffe, dass du mir eine große Stütze sein wirst." Zwei Tage später beginnt sie am 14. Juni 1942 damit, aufzuschreiben, was sie bewegt.
Anne hat das Tagebuch mit ihrem Vater zusammen gekauft - ein paar Wochen, bevor die Franks untertauchen müssen: Als Annes Schwester Margot im Sommer 1942 von der SS verhaftet werden soll, versteckt sich die Familie in einem Hinterhaus an der Amsterdamer Prinsengracht 263. Im vorderen Teil des Gebäudes befinden sich die Räume von Otto Franks Firma, die Geliermittel herstellt. Hinter einem Aktenregal, das sich zur Seite schieben lässt, liegt der Zugang zum "Achterhuis". Nur fünf Angestellte sind eingeweiht. Sie versorgen die Untergetauchten, zu denen auch die dreiköpfige Familie van Pels und der von Anne im Buch Albert Dussel genannte Fritz Pfeffer gehören. In ihrem Tagebuch schildert Anne, wie die acht Personen auf wenigen Quadratmetern miteinander auskommen müssen.
Für die Veröffentlichung überarbeitet
Das rot-weiß karierte Tagebuch reicht bald nicht mehr aus. Auf Blättern aus dem Büro ihres Vaters schreibt Anne weiter. Ihr Eintrag vom 29. März 1944 lautet: "Gestern sprach Minister Bolkestein im Oranje-Sender darüber, dass nach dem Krieg eine Sammlung von Tagebüchern und Briefen aus dieser Zeit herauskommen soll." Anne überarbeitet danach ihre Aufzeichnungen und schreibt eine zweite Fassung ihres Tagebuches. Sie will es nach dem Krieg in Holland unter dem Titel "Het Achterhuis" veröffentlichen. Doch dann wird das Versteck verraten und die Gestapo verhaftet am 4. August 1944 alle Bewohner des Hinterhauses.
Im Chaos, das die Geheimpolizei in den Räumen hinterlässt, findet Miep Gies, die engste Mitarbeiterin von Otto Frank, kurz nach der Razzia das Tagebuch. Sie bewahrt es auf, bis Otto als einziger Überlebender im Juni 1945 nach Amsterdam zurückkehrt. Anne stirbt im März 1945 im KZ Bergen-Belsen an Typhus - nur wenige Wochen vor der Befreiung des Lagers. "Als ich zurückkam und erfuhr, dass ich meine Kinder nie wiedersehen würde, gab Miep mir das Tagebuch", erinnert sich Otto Frank. "Ich habe lange gebraucht, bis ich es lesen konnte." Er sei erstaunt gewesen über Annes tiefe Gedanken, ihre Ernsthaftigkeit und ihre Selbstkritik. "Das war eine völlig andere Anne als meine Tochter."
Stand: 14.06.07