Geboren wird Mistinguett nicht im Pariser Vergnügungsviertel Faubourg Saint-Denis – auch wenn sie dies später immer gern behaupten wird. Tatsache ist, dass sie schon als Kind mit zwei Freundinnen jeden Tag im Dritte-Klasse-Abteil von ihrer Geburtsstadt Enghien-les-Bains in die Hauptstadt des Varietétheaters fährt, um bei einem Opernsänger Geigenunterricht zu nehmen – und an ihrer späteren Karriere als Revuestar zu arbeiten.
"Ich sehe es noch vor mir, als wäre es gestern gewesen", wird Mistinguett in ihren Memoiren schreiben: "Drei junge Mädchen, zwei waren fröhlich, die Dritte still und in sich gekehrt. Das war ich, ich schmiedete Zukunftspläne."
Fräulein Tingeltangel
Geboren wird Mistinguett 1875 als Jeanne Florentine Bourgeois. In der Schule übernimmt sie kleinere Rollen in Theateraufführungen und spielt verkleidet Zirkuserlebnisse nach. Mit acht Jahren verkündet sie ihren verdutzten Eltern, als "geborene Künstlerin" zum Theater zu wollen. Den Geigenunterricht in Paris schwänzt sie bald, um Gesangs- und Schauspielunterricht zu nehmen. Das Geld hierfür verdient sie sich als Blumenhändlerin mit einem eigenen Stand vor dem Casino ihres Heimatorts. Im Zug nach Paris lernt sie schließlich einen Chanson-Komponisten kennen, der ihr zu ihrem aus "Miss Tinguett" ("Fräulein Tingeltangel") zusammengesetzten Pseudonym verhilft – und 1895 zu ihrem ersten Engagement im "Casino de Paris".
Der Aufstieg zu einer der bekanntesten Künstlerinnen Frankreichs ist da noch gar nicht abzusehen: Immerhin bescheinigt ihr eine bekannte Sängerin Hässlichkeit und wenig musikalisches Talent. Mistinguett macht nie einen Hehl aus ihren Schwächen. Vor allem aber feilt sie an sich und ihren Stärken: Für ihre mit 500.000 Francs versicherten Beine werden später eigens Showtreppen gebaut. 1897 verdient Mistinguett im "Trianon" bereits fünf Francs am Abend und lässt sich den Haushalt von Gymnasiasten führen. Für das Seidenkleid-Geschenk eines solventeren Bewunderers bedankt sie sich mit einem Kuss. Zu mehr kommt es selten. Ausdruck einer leidenschaftlicheren Affäre mit einem brasilianischen Diplomaten ist die Geburt ihres Sohnes 1901.
Nebenbei ein Stummfilmstar
Mistinguett singt, tanzt, spielt kleine Sketche im Vergnügungslokal "Eldorado" – und fällt auch durch ihre ausladenden Bühnenkostüme aus dem Rahmen. 1907 überredet sie den Besitzer des berühmten "Théâtre des Folies-Dramatiques", sie für eine Rolle zu engagieren – schließlich landet sie schon ein Jahr später bei einer Hauptrolle in dem von Jacques Offenbach gegründeten "Théâtre des Bouffes", wo sie das Blumenmädchen Flora spielt. Jetzt ist sie auf dem Höhepunkt ihres Ruhms. Zu ihren Affären gehören Spaniens König Alfons XIII. ebenso wie der russische Zar Nikolaus II., Gustav X. von Schweden und der spätere König von England Eduard VII. Nebenbei spielt sie in rund 60 Stummfilmen mit.
1909 lernt Mistinguett im Kabaretttheater "Folies Bergère" den Chansonsänger Maurice Chevalier kennen. Er wird zur großen Liebe ihres Lebens – eine Liebe, die Chevaliers Militärdienst und Kriegsgefangenschaft nach dem Ersten Weltkrieg ebenso überlebt wie die für sie schmerzliche Trennung im Jahr 1919. Mistinguett flieht aus Paris und geht auf Welttournee durch die USA und Europa, spielt 1920 ihren Welthit "Mon Homme" ein und holt sich in den 30er Jahren ihren Sohn als Chansonschreiber aus Brasilien zurück nach Paris. Aber langsam wird sie müde. 1951 beendet "Fräulein Tingeltangel" ihre Karriere. Sie stirbt am 5. Januar 1956 im Alter von 80 Jahren in Bougival.
Stand: 05.01.2016
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 5. Januar 2016 ebenfalls an Mistinguett. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.